Dienstag, 20. November 2012

Israel modernes Sparta?

Wie es nicht anders zu erwarten war, erhielt Israel für die Angriffe auf Gaza bisher nur Zustimmung von den "Grossen Nationen" wie USA, Großbritannien, Deutschland oder Frankreich. Einhellig war die Meinung, dass Israel das Recht habe sich angesichts der Raketenangriffe aus Gaza zu verteidigen. Auch die Schuldfrage war schnell geklärt; primäre Schuld liegt bei der "radikal-islamischen Hamas".
Selbst die ansonsten Obama-kritische pro-Israel Lobby AIPAC kam nicht umher, als die "extraordinäre Zeichen der Unterstützung des Senats für Israel`s Kampf gegen Terrorangriffe auf ihre Bürger" zu loben. Vorausgegangen waren Resolutionen beider Kammern auf Capitol Hill in Washington, welche besagten dass "es keinerlei Rechtfertigung für die Gewalt der Hamas und anderen Terroristischen Organisationen gibt, die sie gegen die Menschen von Israel anwenden".

Würde es nur eine Seite auf einer Medaille geben, dann wären diese einseitige Beschuldigung vermutlich korrekt. Es gibt aber dummerweise immer auch noch eine zweite Seite auf dieser Medaille. Doch von dieser Seite hört man nichts bei jenen Politikern. In keinem der offiziellen Statements aus Washington, London, Paris oder Berlin hörte man auch nur den kleinsten Hinweis darauf, dass die "gezielten Tötungen" seitens der IDF (Israel Defense Forces) für genau jenen Raketenbeschuss verantwortlich sind, vor denen die israelische Bevölkerung beschützt werden soll. Oder man hört von diesen Politikern auch nichts davon unter welchen Bedingungen die Menschen in Gaza leben, und dass sie nichts weiter wollen als die selbe Würde und Rechte die man auch der jüdischen Bevölkerung Israels zuspricht. Nein, solche existentiellen Forderungen werden stattdessen als "radikal-islamisch" gebrandmarkt.

Was für eine Gefahr droht dem Staat Israel aber tatsächlich von Seiten der Hamas? Stellt man diese Frage den gleichen Politikern, dann erhält man sehr wahrscheinlich die Antwort, dass sich die Hamas der Zerstörung des Staates Israel verpflichtet haben. Ist das aber tatsächlich so? In der Charta der Hamas findet sich nicht ein einziger Hinweis darauf. Natürlich sprechen sie von der "zionistischen Invasion Palästinas", oder "um die Usurpation Palästinas durch die Juden zu begegnen, muss das Banner des Jihad in der Umma erhoben werden". Über die ohne Zweifel islamisch geprägte Formulierung der Charta kann man denken was man möchte, für die Menschen die in der Religion Trost finden und von den Sozialeinrichtungen der Hamas profitieren, UND die Vertreibung der Palästinenser von 1948 miterlebten lange bevor es die Hamas überhaupt gab, definiert diese Charta genau das was sie HEUTE (oder auch bei den Wahlen 2006) fühlen. Und genau aus diesem Grund halten die "Einwohner" Gaza`s auch zur Hamas bzw. kommt es sogar zu Solidarisierung der Palästinenser in der West Bank.
Die vielzitierte Bedrohung Israels durch die Raketen aus dem Gaza-Streifen ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, zumal es für die 26 Opfer und ihren Familien auf israelischer Seite seit 2006 zu 100% zutrifft (Stand 15.11.2012). Im gleichen Zeitraum starben allein im Gaza-Streifen 2970 Menschen durch Angriffe der IDF (in der West Bank starben 310 Palästinenser in dem gleichen Zeitraum)! Richtig ist natürlich auch dass die Hamas über Tausende von Raketen unterschiedlicher Reichweiten verfügt. Aber all diese Raketen stellen keine existentielle Bedrohung für den Staat Israel dar, einem Land, welches über Atomwaffen verfügt und zudem Platz 1 auf der Liste der Militarisierten Länder weltweit einnimmt! (Iran auf Platz 34)


 Die israelische Regierung dagegen hat es sich auf die Fahne geschrieben, nicht mit Terroristen an einem Tisch zu sitzen oder erst dann, wenn die Hamas den Staat Israel anerkennt. Auf den ersten Blick scheint hier ein Teufelskreislauf vorzuherrschen, da Hamas vermutlich nicht so schnell zu diesem Schritt bereit sein wird. Dennoch gibt es Wege einer friedlichen Co-Existenz wie ihn selbst Hamas Anführer Khaled Meshal skizzierte. Er sagte, "dass er nicht glaube das ein bewaffneter Widerstand per se den Sieg über Israel bringen kann, sondern vielmehr durch die Weigerung der Unterordnung (an Israel/USA/EU) eine psychologische Balance welche eventuell eine politische Lösung bringen könnte. Israel muss verstehen, dass Hamas ein harter Verhandlungspartner ist, aber einer, verglichen mit anderen, der zu seinen Zusicherungen steht. Wir bei der Hamas, sowie die meisten palästinensischen Fraktionen, haben die Idee eines Staates (Israels) innerhalb der Grenzen vom 04. Juni 1967 akzeptiert. Aber wir haben gesagt das wir Israel nicht anerkennen werden." 
Auf die Möglichkeit hin das diese Aussage für Widersprüche sorgen könnte, lieferte Meshal gleich eine Antwort auf seine Aussage. "Während wir also einen Staat innerhalb der Grenzen von 1967 akzeptieren, müssen wir nicht auch noch jenen eine Legitimität verleihen welche unser Land vor 60 oder 70 Jahren besetzt haben. Wenn wir also durch Politik zu einem Einverständnis für einen Palästinensischen Staat innerhalb der Grenzen von 1967 kommen, warum sollten wir dann gezwungen werden unseren Glauben und unsere Gefühle aufzugeben indem wir Israel anerkennen?"
Betrachtet man also nun das Verhalten der Hamas, seit sie von den Menschen in Gaza als politische Repräsentanten gewählt wurden, im Kontext dieser Aussage Khaled Meshal`s, dann ergibt das durchaus Sinn und die Lage erscheint nicht mehr so aussichtslos. Das bedingt aber natürlich eine beiderseitige Vertrauensbildung und Gesten der Reziprozität. Während die Regierungen von Ehud Olmert und Benyamin Netanyahu immer wieder nur auf die Bedingung der Anerkennung Israels durch die Hamas oder den Stopp des Raketenbeschusses pochten, annektierten sie immer grössere Gebiete der West Bank durch den Bau von jüdischen Siedlungen. Militärisch gingen die IDF ebenfalls immer wieder mit "gezielten Tötungen" hauptsächlich gegen Kommandeure im Gaza Streifen vor, wobei bei diesen Mordanschlägen jedesmal unschuldige Menschen mit ums Leben kamen. Auch die kollektive Bestrafung von Familienangehörigen von vermeintlichen und tatsächlichen Selbstmordattentäter (die nicht alle der Hamas angehörten) durch die Sprengung ihrer Häuser gehörte zum Lieblingsrepertoir der IDF im Umgang mit dem Gaza-Streifen; nebst vielen anderen Schikanen der Bevölkerung die nichts mit der Gewalt zu tun haben möchte. Vertrauensbildende Massnahmen sehen da anders aus.

Israel verliert die säkulare Mitte und wird für sich selbst zur Gefahr
Basiert die aktuelle Auseinandersetzung Israels mit der Hamas aber tatsächlich nur auf den Vorstellungen von einigen Hardlinern und Verfechtern von Gross-Israel wie Netanyahu oder seinem rechtsgerichteten Aussenminister Avigdor Liebermann? Als 1995 der für einen Frieden einstehende Ministerpräsident Yitzak Rabin von einem militanten Juden ermordet wurde, war die Mehrheit der Bevölkerung tief schockiert darüber. Nicht nur schockiert angesichts der kriminellen Tat, sondern auch deshalb weil sie tatsächlich für einen Frieden mit den arabischen "Brüdern und Schwestern" einstanden. Das ist heute aber nicht mehr der Fall!
Es gibt zahlreiche Videos und Interviews von und mit normalen Bürgern in Israel, aber auch von staatlichen Kräften seit letzter Woche, die eine erst vor kurzem veröffentlichte Studie klar bestätigen: Israel ist mehrheitlich nach Rechts gerutscht, will heissen die Mehrheit der Bevölkerung hat die Grenzen zwischen Zionisten und Ultraorthodoxen vermischt und wurde zu nationalistisch-religiösen Zionisten. Gemäss dieser Studie würden 47%! der jüdischen Bevölkerung einem "Transfer", d.h. Zwangsumsiedlung, von arabischen Nachbarn in palästinensische Gebiete gutheissen. 58% sind der Meinung, dass es in Israel ein Apartheid System gibt.



Diese Zahlen sprechen dafür, dass sehr viele Menschen in Israel kein Interesse mehr an einer friedlichen Einigung mit den Palästinensern haben. Viele Befragten äusserten sich seit dem Ausbruch der Angriffe auf Gaza mit deutlich harten Worten wie "wir werden den ganzen Platz auslöschen" oder "tötet sie alle". Solche Worte hätte 1995 mit Sicherheit niemand offen ausgesprochen.
Glaubt man diesen Zahlen und den Aussagen vieler Befragter, steht die israelische Bevölkerung mehrheitlich hinter der jüngsten Eskalation der IDF.
Einer Armee, die hauptsächlich amerikanische Bomben auf Gaza abwirft, finanziert von amerikanischen Steuergeldern. Das aber dabei auch US-Gesetze gebrochen werden, insbesondere der Arms Control Export Act welcher klar regelt was man mit den "gekauften" Waffen machen darf und was nicht.
Angriffskriege gehören definitiv nicht dazu. Ausschliesslich "zur internen Sicherheit" und "legitimen Selbstverteidigung" dürfen die Bomben eingesetzt werden. Das ist also das Zauberwort: legitime Selbstverteidigung. Ganz egal ob Washington, London, Paris oder Berlin Premierminister Netanyahu die Tage zu Hilfe geeilt ist, ALLE benutzten diese zwei Worte "legitime Selbstverteidigung"! Damit wird tatsächlich die israelische Bombardierung von Gaza legitimiert, aber nur um eine Untersuchung des US-Kongresses zu vermeiden weil sich Israel nicht an die unterzeichneten Bedingungen gehalten hat als die Bomben und Raketen "gekauft" wurden.
In der Vergangenheit gab es hin und wieder US-Präsidenten die sich diese blatante Ignorierung von US-Gesetzen nicht gefallen liessen, wie beispielsweise Ronald Reagan als Israel bei der Libanon Invasion 1982 Cluster Bomben aus US-Arsenalen nutzte. Heute sieht das Bild komplett anders aus. Die USA haben sich selbst dazu verpflichtet in Israel für eine "Qualitative Militärische Überlegenheit" (QME = Qualitiy Military Edge) zu sorgen, und dafür alles nur erdenklich mögliche zu tun. Das alles wurde von Präsident Obama dieses Jahr im "United States-Israel Enhanced Security Cooperation Act 2012" ratifiziert. Damit garantierte Obama mit Sicherheit dem israelischen Staat die Erhaltung des Spitzenplatzes auf der Liste der grössten militarisierten Länder der Welt 2013 zu.

Israel, gefangen in seiner Vision des biblischen Eretz-Israel, hat sich weit von den Idealen der romantisierten Kibbutz Generation entfernt, und sein Volk in eine religiös-militarisierte Gesellschaft verwandelt welche der Beschreibung des antiken Sparta nicht unähnlich erscheint. Es bleibt abzuwarten ob das israelische Volk diesem epischen Kampf zwischen David und Goliath, wobei Israel heute die Stellung des Goliath eingenommen hat, eines Tages ein friedliches Ende bereiten wird oder ob es bis zum bitteren Ende weitergeführt wird.  Nur darf nicht vergessen werden, dass obwohl die Hamas von den USA und der EU als Terrororganisation gebrandmarkt wird und verschiedene Premierminister Israels eine Verhandlung mit "Terroristen" abgelehnt haben, diese Organisation einen starken Rückhalt in der Bevölkerung Gaza`s hat und ebenfalls eine legitime Selbstverteidigung gegen einen übermächtigen Goliath führt. Israel darf seine eigene Vergangenheit mit Terroristen an oberster Stelle dabei nicht aus den Augen lassen: Menachem Begin, dem Anführer der Irgun, welcher von sich selbst sagte dass "die grösste Aufgabe im Leben die Rolle des Kommandeurs der Irgun war, noch grösser als die des Ministerpräsidenten". Zur Besiedlung der West Bank sagte er, "man kann nicht israelisches Land für das Volk von Israel annektieren, da es ihm bereits gehört." Das alles hinderte das Nobelpreiskomitee aber nicht, ihm 1978 den im Grunde sehr ehrenvollen Preis zu überreichen. Oder Ariel Sharon der an zahlreichen Massakern an der palästinensischen Bevölkerung als Kommandeur beteiligt war und trotzdem Premierminister werden konnte, oder Yitzhak Shamir, ebenfalls ein Terrorist der an der Ermordung des UN-Sondergesandten Graf von Bernadotte beteiligt war und genau so Premierminister wurde.

Es mangelt also nicht an Beispielen wie ehemalige Terroristen den Sprung in die Politik geschafft haben. Daran sollte sich Israel (und die USA/EU) unbedingt erinnern wenn es darum geht, mit der Hamas eine Lösung zum Wohle der Palästinenser zu finden.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen