Donnerstag, 13. Dezember 2012

Aufstieg des Wahhabismus Teil 1

Saudi Arabien ist das einzige Land auf dieser Erde welches den Namen der herrschenden Elite als Staatsfirmierung trägt, nämlich den der Al-Saud Familie. Es gibt kein Merkel-Deutschland, kein Hollande-Frankreich, ebensowenig wie ein Borbon-Spanien. Das gab es nicht einmal im ältesten Königreich Europas, Großbritannien, in ihrer ganzen langen Geschichte.
Dass Saudi Arabien so heisst wie es heisst, zeugt von einem deutlichen Signal welches der Begründer dieses Königreiches an die Adresse seiner Feinde setzen wollte. Wie kam es aber dazu, dass ein Stammesführer aus der unwirtlichsten und lebensfeindlichster Gegend der Arabischen Halbinsel, dem Najd, ein solch grosses Königreich ausrufen konnte? Und was hat das alles mit Jordanien zu tun? Die Antworten auf diese Fragen sind auch zum Verständnis für die Umwälzungen in der arabischen Welt von grösster Bedeutung und bringen etwas Licht in ein ansonsten absichtlich dunkel gehaltenes Kapitel dieser enorm wichtigen Gegend.


Historisch betrachtet gab es auf der Arabischen Halbinsel über Jahrhunderte hinweg bloss zwei fortgeschrittene Zivilisationen auf den Gebieten des heutigen Jemen und des Omans. Der Rest der riesigen Fläche der Halbinsel wurde von verschiedenen Beduinenstämmen bewohnt. Erst durch die Ankunft einer neuen Religion, des Islam, gelang die Region des Hijaz (im welchen die Heiligen Städte Mekka und Medina liegen) zu überregionalem Bekanntheitsgrad. Mit der Verbreitung des Islams schufen die Krieger des Propheten Muhammad in kürzester Zeit ein Riesenreich das sich bis nach Europa ausdehnte. Dieses Gebiet welches nur den Islam als einigenden Faktor hatte, wurde Kalifat und deren Herrscher Kalif(en) genannt. Interessanterweise wurden die Hauptstädte der Kalifate nie am Ursprung der Religionsstiftung angesiedelt, sondern waren in fernen Gebieten wie Damaskus, Bagdad und zuletzt Konstantinopel (Istanbul).
Für die Betreuung der Heiligen Stätten von Mekka und Medina setzten die Kalifen sogenannte Sharifen ein, was etwa einem Gouverneur entspricht, aber ausschliesslich aus den Nachfahren des Propheten rekrutiert und ausgebildet wurden.


Die Nachfahren des Propheten Muhammad werden heute nur noch in zwei Kategorien aufteilt: die Sharifen vom Stamme der Banu Hashim (ein Zweig des Hauptstammes der Banu Quraish aus welchem Muhammad stammt) und die Sayyiden aus dem Geschlecht von Hussein ibn Ali, dem Enkel des Propheten und Sohn des Ali, welcher als Begründer des schiitischen Glaubenszweiges des Islams gilt.
Nachdem sich das heutige Schisma zwischen Schiiten und Sunniten bereits in kürzester Zeit nach dem Tod von Muhammad betreffend der Nachfolgeregelung bildete, als die Wahl des Ali (immerhin Vetter und Schwiegersohn des Propheten) nach der Ermordung des Dritten Kalifen Uthman von dessen Zweig der Umayyaden nicht anerkannt wurde, kam es zur Ermordung von Ali und zur Gründung der Umayyaden Dynastie bzw. Kalifats in Damaskus. Seitdem kam für die Betreuung von Mekka und Medina nur noch der Stamm der Banu Hashim, der Hashemiten, in Frage.

Der Einflussbereich der Hashemiten blieb auf das Gebiet des Hijaz beschränkt, da sich im Hinterland der Berge die Mekka schützten nur karges Wüstengebiet befand und die dort ansässigen Beduinenstämme genug mit ihrer Viehzucht zu tun hatten und durch ihre gegenseitigen Blutfehden keine Gefahr für den Sharifen darstellten.
Das alles sollte sich ändern, als im Jahr 1744 in der Oasenstadt Diriya im Najd zwei Männer eine Übereinkunft trafen, welche nicht nur für die Menschen in Diriyah von Bedeutung waren, sondern ihren Schatten über Jahrhunderte bis heute warf und massgeblich viele Ereignisse des 20. und des bisherigen 21. Jahrhunderts beeinflusste. Bei diesen zwei Männern handelte es sich um den Kleriker Muhammad ibn Abdul Wahhab, der sich auf der Flucht vor seinem eigenen Stamm befand, und dem Anführer des Oasenstädtchens von Diriya, Scheich Muhammad ibn Saud.
Ibn Wahhab war ein weitgereister Mann für die damalige Zeit und die Region. Er besuchte das Persische Reich und studierte gar in den Wissenschaftszentren von Isfahan und Qom, lebte für einige Zeit in Basra (im heutigen Irak) welches unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches stand. Diese Erfahrungen haben Ibn Wahhab radikalisiert, der in der schiitischen Glaubenslehre eine Götzenanbetung sah und der liberaleren Auslegung des Islams im Osmanischen Reich äusserst kritisch gegenüberstand. Nach seiner Rückkehr in den Najd schrieb Ibn Wahhab sein wichtigstes Werk, das "Kitab at-Tauhid" oder "Buch des Einzigen (Gottes)" welches die Anbetung eines einzigen und einigenden Gottes vorschrieb. In seinem Versuch die Stammesangehörigen von seiner Sichtweise zu überzeugen, ging er sogar soweit und zerstörte einige Gräber der ersten Weggefährten des Propheten Muhammad in Medina, welche sich zu Stätten der Anbetung entwickelt hatten. Diese Tat rechtfertigte Ibn Wahhab damit, dass die Verehrung von toten Menschen von Christen kopiert wurde und somit unislamisch sei. Damit zog sich Ibn Wahhab den Zorn von prominenten Gelehrten aus Medina zu, selbst seine eigene Familie distanzierte sich vor seinen Äusserungen und Taten und verjagten ihn aus seiner Heimatstadt Uyayna.
In Diriya traf er auf einen Mann, der seine Vorstellung teilte und nach Möglichkeiten suchte, seine Machtbasis über Diriya hinaus zu erweitern. Obwohl Blutfehden im Najd zum täglichen Leben gehörten, dienten sie prinzipiell nicht zur Machtausdehnung. Ibn Saud ging sogar einen Schritt weiter indem er die Tochter von Ibn Wahhab zur Frau nahm und somit eine alte Tradition der Beduinen brach, die eine Heirat zwischen verschiedenen Stämmen der Allianz wegen verbot. Nun ausgestattet mit religiöser Legitimität starteten Ibn Saud und Ibn Wahhab den ersten Jihad gegen andere Muslime, die der Lehre Wahhab`s nach als unislamisch galten, oder shirk, um ihnen den einzig wahren Glauben zu bringen. Das war der Grundstein für das erste saudische Emirat von 1744 bis 1786.

Dieser Zusammenschluss revolutionierte auch die Kriegsführung innerhalb des Najd. Plötzlich tauchten fanatische Schwerterschwingende Reiter auf, die den schon berühmt/berüchtigten Ruf "Allahu Akbar!" (Gott ist Gross!) schrien und nicht auf die traditionelle und zu erwartende Blutrache aus waren. Sie wollten dass sich die eroberten Stämme zu ihrem Glauben bekennen und streng nach den Vorschriften des Ibn Wahhab lebten, sowie die im Koran beschriebene zakat (eine Art religiöse Steuer die für die Armen und Bedürftigen gedacht ist) an den neuen Emir leisteten. Diejenigen die sich weigerten wurden als takfir gebrandmarkt, also vom Glauben abgefallene Muslime die keine Daseinsberechtigung mehr dadurch hatten und getötet werden mussten.

Die loyalen Reiter des neuen Emirs und Imams, wie sich Ibn Saud und Ibn Wahhab fortan nannten, wurden nicht nur in dieser neuen Lehre indoktriniert, sie erhielten sogar ein Versprechen welches zu diesen Zeiten absolut unerhört war: den sofortigen Zugang ins Paradies wenn sie im Jihad als Märtyrer starben.
*Genau diese "Innovationen" die aus dem Zusammenschluss von Ibn Wahhab und Ibn Saud entstanden sind, leben heute in Form von Al Qaida und deren Ableger weiter, die mit dieser gefährlichen Ideologie den Jihad missbraucht haben und es in ihrer Sichtweise nicht die geringsten Skrupel gibt, andere Muslime zu töten die nicht ihren Glauben oder Gesetze teilen wollen.*

Was im Hinterland des Najd passierte drang natürlich auch den Menschen im Hijaz und dem Sharifen zu Ohren, jedoch hielten sie es vorerst für eine neue Art der uralten Blutfehden der Beduinen die nur eine lokale Sensation darstellten. Das änderte sich mit der Zeit als die Wahhabiten, wie sie von den Menschen genannt wurden die sich nicht dieser Form des Islams unterwerfen lassen wollten, ihr Territorium immer weiter ausdehnten und schliesslich die Pilgerkarawanen bedrohten die sich auf dem Weg nach Mekka zum jährlichen hajj befanden. Für den Sultan des Osmanischen Reiches stellte dies ein grosses Ärgernis dar. Als Hüter der Heiligen Stätten von Mekka und Medina war er auch für die Sicherheit der Pilger verantwortlich, zumal es sich beim hajj um eine äusserst lukrative Einnahmequelle handelte die nun bedroht wurde.
Damit nicht genug, der neue Emir, Abdul Aziz ibn Saud der seinen Vater beerbt hatte als dieser 1765 starb, versuchte die Doktrin des Ibn Wahhab auch in Mekka und Medina durchzusetzen. Dafür wählte er drei Männer aus die die Gelehrten der Heiligen Städte davon überzeugen sollten, sich dem einzig richtigen Glauben anzuschliessen und die Sünde der Häresie abzulegen. Stattdessen wurden sie aber von den Klerikern belehrt selbst vom Pfad des Propheten abgekommen zu sein und beschuldigten sie des Massenmordes an Muslimen. Wütend kehrten die drei Gesandten zurück zu Abdul Aziz und berichteten ihm über die Entscheidung der Gelehrten. Für den Emir aus Diriya bedeutete dies nur eins: selbst die angeblich weisesten Gelehrten der Heiligen Stätten sind vom Glauben abgefallen und müssen bestraft werden.

Massaker von Taif und Kerbala
Abdul Aziz belagerte Mekka und versuchte die Stadt zu stürmen, doch der Sharif, Ghalib Effendi, konnte die Angreifer in die Flucht schlagen. Allerdings gelang es den Kriegern Saud`s, einige Stämme im Umkreis Mekka`s zum Wahhabismus zu konvertieren was für die weitere Entwicklung von enormer Wichtigkeit war. Sharif Ghalib sendete nämlich über einen Vertauten, Uthman al-Mudayiqi, aus einem dieser Stämme einen Friedensvertrag an Abdul Aziz nach Diriyah. Uthman jedoch, überzeugt von den Worten und Taten der Wahhabiten, dachte gar nicht mehr daran die Interessen des Sharifen weiter zu vertreten und teilte dies Abdul Aziz mit. Der Emir liess eine Antwort verfassen worin er den Friedensvertrag des Sharifen ablehnte und eine weitere Belagerung Mekka`s androhte. Sharif Ghalib blieb keine andere Wahl als den Versuch zu unternehmen, die heranrückenden Wahhabiten aufzuhalten. Es sollte beim Versuch bleiben. Seine Soldaten wurden bezwungen und der Sharif zog sich nach Taif zurück. Taif war die Sommerresidenz des Sharifen von Mekka, ein blühendes Städtchen umringt von einer Festung in den Sarawat-Bergen, welche idealen Schutz vor der mörderischen Hitze des Najd bot.

Von dort aus plante der Sharif die Verteidigung von Mekka, welche er nicht kampflos aufgeben wollte. Zunächst griff er in Malis, einer kleinen Siedlung vor Taif, die dort lauernden Reiter an und zwang sie diese Position aufzugeben. Unterdessen flohen viele Einwohner Taif`s vor dem drohenden Unheil, aber im Gegenzug suchten viele Menschen aus den umliegenden und ungeschützten Dörfern Zuflucht hinter den Mauern der Festung. Abdul Aziz, noch gedemütigt aus der Niederlage von Malis, sinnte nach Rache und schickte einen wegen seiner Kaltblütigkeit berüchtigten Anführer und seine Reiter nach Taif.

Angekommen vor den Toren der Festung fanden sie eine Weisse Flagge vor, auch ein auf der Arabischer Halbinsel bekanntes Symbol der Aufgabe bzw. Niederlage. Doch der von religiösem Eifer erfasste Anführer Salim ibn Shakban, hielt eine Aufgabe für einen Akt der Feigheit und belagerte die Stadt zwölf Tage lang. Als die Menschen in der Festung auf der Suche nach Nahrung unvorsichtig wurden, stürmten die Truppen Ibn Shakban`s die Festung.

Mit unerbittlicher Brutalität wüteten die Wahhabiten innerhalb der Festungsmauern von Taif.  Es ging ihnen hauptsächlich um das Eigentum der Einwohner, als aber ihrer Meinung nach nicht genug geplündert wurde, wurden aus Rache Frauen und Kinder abgeschlachtet. Männer die sich den Forderungen der Wahhabiten ergaben, wurden trotzdem einer nach dem anderen, insgesamt 367, auf einem Hügel vor der Stadt mit dem Schwert geköpft. Damit nicht genug, als Zeichen der absoluten Verachtung und unter Missachtung jeglicher islamischen Tradition, hetzten sie Tiere über die Leichen und liessen diese für zwölf Tage nicht beerdigen. Erst nachdem ein übler, fauliger Geruch über Taif hing, liessen die Wahhabiten die Einwohner ihre Verwandten begraben.

Mit diesem Massaker, verübt von Muslimen an Muslime, setzten die Wahhabiten unter der Führung von Abdul Aziz ein bedrohliches Zeichen an sämtliche Gegner: entweder sie unterwerfen sich oder sie finden alle den Tod.

Mit dieser Botschaft ausgestattet startete Abdul Aziz ibn Muhammad al-Saud seinen Eroberungsfeldzug weiter in Richtung Osten tief ins Mesopotamische Kernland (im heutigen Irak) welches sich ebenfalls unter Osmanischer Herrschaft befand. Mit einer überwältigenden Streitmacht von 12000 Mann griffen sie am 21. April 1802 die den Schiiten Heilige Stadt Kerbela an.


Die dort stationierte osmanische Garnison, deren Aufgabe es eigentlich war die Heiligtümer zu beschützen, ergriff angesichts der heranstürmenden Übermacht die Flucht und überliess die Stadt und deren Einwohner schutzlos den Wahhabiten. Die Entscheidung, ausgerechnet Kerbela anzugreifen kam nicht aus einer einfachen Laune heraus, sondern war das Ergebnis einer tödlichen Weltanschauung. 

Die Schiiten galten ihrer Verehrung für die Imame Ali und Hussein wegen als "lebensunwürdige" Menschen, ihnen wurde das Existenzrecht noch mehr verweigert als den Juden und Christen. Aus dieser Überzeugung heraus war somit Kerbela die einzige pervers-logische Wahl um den Schiiten einen ähnlichen Schrecken einzujagen wie zuvor den Menschen in Taif. Kerbela war der historische Ort wo Hussain, der Sohn des Imams Ali, von den Umayyaden getötet wurde und sein Leichnam in der Imam Hussain Moschee begraben ist.

Abdul Aziz und seine Männer wüteten für acht Stunden in der Stadt. Auf den Dächern der Stadt wurden sie immer wieder von mitgebrachten religiösen Eiferern aus dem Najd aufgehetzt „dass alle Ungläubige die Gott jemandem zur Seite stellen umgebracht werden müssen!“  Die Männer töteten nahezu 5000 Menschen, plünderten die heiligen Schreine und verwüsteten das Grab Imam Hussains. Solch eine gottlose Vernichtung gab es seit den Mongolenstürmen nicht mehr. Die Wahhabiten packten unzählige und unersetzliche kulturelle Schätze und wertvolle persische Teppiche auf ihre viertausend Kamele.

Als Fath Ali Shah, der persische König, von diesem Massaker an seinen Glaubensbrüdern und der Schändung der heiligen Schreine von Kerbela erfuhr, schickte er sofort einen Emissär nach Konstantinopel um sich beim Sultan darüber zu beschweren, dass die Osmanen nicht in der Lage waren sich gegen die Wahhabiten zu stemmen, sondern die Stadt kampflos ihrem Schicksal überliessen.

Was Abdul Aziz ibn Saud einmal in Kerbela gelang, versuchten seine Männer ein zweites Mal in einer weiteren schiitischen heiligen Stadt im heutigen Irak: Najaf. 

In Najaf liegt Imam Ali, der Begründer der schiitischen Glaubenslehre, in der Imam Ali Moschee begraben. Die Männer aus dem Najd wussten um die Wichtigkeit dieser Stadt für die Schiiten, daher war es auch diesesmal kein Zufall einen Angriff auf diese Stadt zu starten um dort den Blutrausch zu stillen, den sie in Kerbela zweifelsohne entfacht haben. Aber was ihnen in Kerbela gelang sollte in Najaf nicht so einfach gelingen. Die Einwohner Najafs waren auf die wahhabitischen „Banditen“, wie sie in vielen muslimischen Texten genannt werden, vorbereitet und wussten was da aus dem Sandsturm auf sie zukommen würde. Nach blutigen Kämpfen konnten sie sich endlich den Fesseln der Belagerung entledigen und die Wahhabiten in die Flucht schlagen.

Im März 1803 entschloss sich Abdul Aziz auch den Hijaz mit den Heiligen Stätten von Mekka und Medina zu erobern. Als sie vor den Toren von Mekka standen, sandten sie nochmal einen Vertreter der der ulama die Wahhabi-Lehre nahelegen und sie zum Bekenntnis für den einen, einzig wahren Glauben zu bewegen. Doch die inzwischen in weiten Teilen der muslimischen Welt bekannt gewordene, oder besser gesagt berüchtigt gewordene Lehre des Muhammed Abdul Wahhab wurde ein weiteres Mal als Häresie bezeichnet und als un-islamisch verachtet. In den Augen Abdul Aziz` war das eine gottlose Brüskierung des einzig wahren Glaubens und musste daher bestraft werden. Er liess Mekka stürmen. 

Die wahhabitischen Eiferer zerstörten sämtliche Mausoleen, sämtliche Gebäude die sie als un-islamisch betrachteten und machten nicht einmal vor Moscheen halt die mit einer Kuppel gebaut worden. Obwohl diese Bauart einer Moschee einer wunderschönen und traditionellen Architektur entspringt, galt es den Wahhabiten dennoch als zu christlich geprägt und somit polytheistisch, was zu den schlimmsten Verstössen überhaupt in der Lehre Abdul Wahhab`s galt und somit zerstört werden musste. Selbst das Grab des Propheten Muhammad wurde nicht verschont, sämtliche Grabbeilagen wurden entwendet und die Schätze der Moschee des Propheten geplündert. Sie zerstörten nicht nur Moscheen und Gebäude, sondern auch unbezahlbare islamische Literatur aus den Bibliotheken Mekkas. Nachdem es nichts mehr zu zerstören gab, sollte den Einwohnern Mekkas, die einem eher liberalen Islam angehörten und zu dieser Zeit auch dem Genuss von Alkohol und Prostitution nicht abgeneigt waren, die puristische wahhabistische Lehre aufgezwängt werden.

Für den Sultan in Konstantinopel stellte dieser "Emir aus dem Najd" nun nicht mehr nur ein lästiges Problem dar, sondern eine regelrechte Gefahr für die Heiligen Stätten und verschiedene Provinzen des Osmanische Reiches. Diese Gefahr musste eliminiert werden. Mit dieser Aufgabe betraute der Sultan den albanischen General Muhammad Ali Pascha in Kairo. Eine erste Antwort auf die Schändung der Heiligtümer, sowohl von Mekka als auch der schiitischen von Kerbela, sollte für Abdul Aziz ausgerechnet bei einem Besuch einer Freitagspredigt in seiner Heimatstadt Diriyah kommen. Am 4. November 1803 wurde er Opfer eines Mordanschlages, ausgeführt von einem persischen Assassinen.

Es folgten Jahre voller erbitterten Schlachten zwischen ägyptischen Söldnern und den wahhabitischen Truppen des Sohnes von Abdul Aziz, Saud ibn Muhammad ibn Abdul Aziz al-Saud, der die Führung des saudischen Emirates übernommen hatte. Erst im Jahr 1818 schien sich das Blatt entscheidend zugunsten des Osmanischen Reiches zu wenden, als der Sohn von Muhammad Ali Pascha, Ibrahim, im März vor den Toren Diriya`s Stellung bezogen hat. Zwischenzeitlich haben sich einige Stämme wieder vom rigiden Wahhabismus losgesagt und unterstützten die ägyptischen Truppen im Sturm auf die Bastion der Al Saud`s, natürlich unter anderem in der Annahme dass sie auf die Sieger der "Endschlacht" setzen würden. So kam es dann schliesslich auch.

Nach Monaten der Belagerung ergab sich schliesslich am 11. September 1818 Abdullah ibn Saud seinen Jägern. Wie hungrige Wölfe stürzten sich nun Ibrahims Männer (und auch die dazu gekommenen Stammeskrieger) über die Stadt her. Sie mordeten, raubten, vergewaltigten und verfielen in einen Zerstörungswahn welcher oft die Sieger einer Schlacht befällt. Die genaue Zahl der zu beklagenden Toten auf der Seite von Diriya`s Bevölkerung ist unbekannt, aber nachdem es keine Verteidigung mehr zum Schutz der Bevölkerung gab und sie den Schlächtern schutzlos ausgeliefert waren, müssen es Hunderte gewesen sein.

Nachdem der erste Blutdurst der Ägypter gestillt wurde, zogen sie sich wieder in ihr Lager vor den Toren der Stadt zurück. Diriya war zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Erdboden gleich gemacht worden, vielleicht hätte dieses Schicksal der Stadt überhaupt erspart bleiben können. Doch als Ibrahim von wahhabitischen Eiferer in der Stadt hörte, die, noch bevor sich die Schwaden des Todes gelegt haben, versucht haben Pläne für die wahhabitische Dominanz nach Abzug der Truppen wieder herzustellen, befahl er die komplette Zerstörung. Diriya wurde dem Erdboden gleichgemacht.


Das Haus Al Saud sollte nie wieder zur Macht aufsteigen können. Aber trotz der Zerstörung gelang es einigen wichtigen wahhabitischen ulama und Mitgliedern des Al Saud Clans sich an den Persischen Golf zu retten, genauer zum kleinen Emirat Ras al-Khaima welches als wahhabitischer Aussenposten am Persischen Golf galt.

Abdullah hingegen wurde zuerst zu Muhammad Ali nach Kairo überführt. Nach einem halbjährigen Aufenthalt dort verlangte Sultan Mahmud II. die Überstellung von Abdullah nach Konstantinopel. Trotz der Zusage Muhammad Ali`s das ihm kein Leid in Konstantinopel zugeführt werden sollte, verhängte ein Gericht am Hofe des Sultans das Todesurteil durch Enthauptung. Der Tod des Mannes der es gewagt hatte, seinen häretischen Glauben in den Heiligen Stätten von Mekka und Medina aufzuzwängen und die Türken als takfir, als Ungläubige, bezeichnete, wurde in den Strassen Konstantinopels frenetisch gefeiert. Sogar vom Persischen Shah kamen Glückwünsche zu diesem Sieg an die Adresse der Türken an, aber nicht beim Sultan sondern direkt beim Verantwortlichen für diesen Erfolg, Muhammad Ali Pascha.

Die Al Saud`s, nun unter der Führung von Turki ibn Abdullah ibn Saud welcher sich in Riad, unweit des zerstörten Diriya, versteckt hielt, floh ebenfalls an die Küste des Persischen Golfes und schloss sich dort den verschanzten Familienmitgliedern an. In den nachfolgenden Jahren konzentrierten sich die Al Saud`s auf die Unterwerfung der kleinen Scheichtümer und Emirate am Golf zum Wahhabismus.

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