Dienstag, 4. Juni 2013

"Selektiver" Journalismus

Schon seit Tagen brennt die Luft in der Türkei, nachdem ein vermeintlich unbedeutender Zwischenfall als Symbol und Ventil für den angestauten Frust zehntausende Menschen zuerst in Istanbul, dann in vielen weiteren Städten auf die Strassen trieb. Was als Protest gegen einen weiteren Konsumtempel anfing, verwandelte sich rasend schnell in einen offenen Schlagabtausch zwischen dem Volk und Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Es gibt viele Gründe die zur Unzufriedenheit im türkischen Volk geführt haben und nur wenige werden von den Medien wiedergegeben. Das liegt zum Einen daran, dass ein Grossteil der westliche Medien, zumindest die Grossen unter ihnen,  in den vergangenen Jahren nur mit angezogener Handbremse über die Türkei berichteten und mehrheitlich nur das Positive hervorhoben, und zum Anderen in der Wahrnehmung der Türkei als letzte (westliche) Bastion vor dem Konfliktherd des Nahen Ostens.
Dieses verzerrte Bild nutzte Erdogan äusserst clever aus. Er verkaufte sich im Ausland als Verteidiger der Demokratie und stiess dennoch auf eine - vorsichtig ausgedrückt - leichte Zurückhaltung in einigen Hauptstädten Europas. Daran ändern schön verpackte Formulierungen wie "bemerkenswerte Reformprogramm" der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auch nichts.

Im Inland sieht dieses Bild etwas differenzierter aus. Die Türkei hat definitiv einen enormen Aufschwung unter der regierenden Partei Erdogan`s AKP erlebt, allerdings auf dem Rücken von horrenden Schulden die der Staat in diesen Jahren angesammelt hat. Was von deutschen Medien als "fast chinesische Verhältnisse" beschrieben wurde, ist in Wirklichkeit eine gigantische Blase die im letzten Jahr geplatzt ist. Wachstum nahezu bei Null, Privatkonsum deutlich eingebrochen, aber der Staat gibt so viel aus wie nie zuvor, auf Pump versteht sich.


Warum der Privatkonsum eingebrochen ist, belegt dieser Chart von offenen Privatkrediten der Türkischen Zentralbank. Die türkische Mittelschicht hat ihren Privatkonsum genau so finanziert wie viele andere Menschen in vielen anderen Ländern auch: nämlich durch Schulden. Nachdem sie nun die Zinsen nicht mehr begleichen können aufgrund der eingebrochenen Wirtschaftsblase, heisst es den Gürtel enger zu schnallen und wo das nicht mehr ausreicht, weitere Schulden zu machen um die Zinsen und Hypotheken begleichen zu können, bevor die Banken ihre Finger auf das lang ersehnte Hab und Gut legen.

Das sind nur einige der Probleme die die Menschen in den letzten Tagen auf die Strassen getrieben haben. Aus unseren Medien erfährt man zwar, dass diese Menschen auch den "autoritären Führungsstil" von Erdogan nicht gut finden und sich gegen die "ideologische Dominanz" seiner AKP-Partei wehren, oder dass sie gegen das Gesetz sind welches den Alkoholausschank zwischen 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr verbietet.

Weit weniger erfährt man aber über die Ängste der Türken von einem religiösen Graben der sich in ihrem Land aufgrund der Aussenpolitik Erdogan`s auftut. Mit seiner offenen Unterstützung für die Rebellen in Syrien, ist der Ministerpräsident von der gutgemeinten und oftmals als Vorzeigepolitik verschrienen "zero-problems"-Politik mit den türkischen Nachbarn total abgerückt (siehe hier und hier). Die guten Beziehungen zum syrischen Präsidenten Bashir al-Assad wurden über Bord geworfen und sogar Stellung gegen ihn bezogen. Mit diesem Schritt öffnete Erdogan die Büchse der Pandora in der Türkei, hinblicklich des ethnisch/religiösen Krieges zwischen Sunniten und Schiiten in Syrien und im Irak. Was in der Türkei nie ein grosses Problem war, auch nicht in den Jahrhunderten unter Osmanischer Herrschaft, wurde mit dieser Entscheidung Erdogan`s plötzlich zum Thema. Noch stehen Sunniten und Schiiten, Aleviten (nicht zu verwechseln mit den Alawiten in Syrien) und Kurden, Seite an Seite und protestieren gegen den türkischen Ministerpräsidenten während sie ihn als "Diktator" beschimpfen.
Wie gefährlich aber dieser Graben werden könnte, zeigten die türkischen Politiker selbst. Der Anführer der stärksten Oppositionspartei CHP (Republikanische Volkspartei) Kemal Kilicdaroglu, feuerte in Richtung Erdogan wegen seiner Unterstützung für die syrischen "Rebellen" und beschuldigte den Ministerpräsidenten, "Terroristen nach Syrien zu senden". Damit sagte Kilicdaroglu eigentlich nur das, was offensichtlich ist, aber von den Medien nur sehr selten so berichtet wird weil es nicht der offiziellen Lesart entspricht. Gleichzeitig stellt sich der Oppositionsführer mit dieser Aussage hinter die Erklärung des syrischen Präsidenten, der ja ebenfalls die "Rebellen" als Terroristen bezeichnet. Und prompt feuerte der Stellvertretende Ministerpräsident Bekir Bozdag zurück und goss noch weiter Öl in das ohnehin schon brenzlige religiöse Feuer, als er die schiitische Hezballah beschuldigte ihre Inspiration nicht aus dem Islam zu beziehen, sondern direkt vom Teufel. Hezballah bedeutet "Partei Gottes", und Bozdag meinte sie sollte sich daher in "Hezb al-Shaitan", also Partei des Satans, umbenennen.
Solche Rhetorik wird diesen ethnisch-religiösen Konflikt in Syrien nur weiter anheizen, sollten die türkischen Politiker auch weiterhin zu solchen Ausdrücken greifen. Und damit provozieren sie, dass das religiöse Feuer auch die Türkei entflammt und die verschiedenen Ethnien und Religionen gegeneinander aufhetzt, was einer Katastrophe für einen Vielvölkerstaat wie die Türkei gleich käme.


Saringas bei Al-Nusra Aktivisten in der Türkei

Ganz still wird es in den Medien wenn es um solche Dinge wie Chemische Waffen geht, die die türkische Polizei bei Aktivisten der wahhabitischen Al-Nusra Front in den Städten Adana und Mersin gefunden hat. Dort planten diese Zellen des Al Qaeda Ablegers einen Terroranschlag mit dem sichergestellten Sarin. Diese Nachrichten wollen einfach nicht zu dem Bild passen, dass Erdogan und seine Kollegen in Europa und den USA von den "Rebellen" zeichnen wollen. Erst recht nicht, wenn diese Anschuldigungen immer wieder in die Hände des syrischen Präsidenten gelegt werden. Gibt man im Google "Sarin Gas in der Türkei gefunden" ein, erhält man nur 47`500 Einträge; und keinen einzigen Bericht von irgendeinem Nachrichtenhaus. Nicht anders verhält es sich wenn man diese Suche auf Englisch versucht: kein einziger Eintrag aus irgendeinem der Nachrichtenportale wie CNN & Co., nur russische oder iranische Medien berichteten darüber.

Nicht anders verhält sich der Fall der selektiven Berichterstattung wenn es um Länder wie Iran oder Israel und Palästina geht. Es gibt keine Nachrichten darüber, welche Erfolge der Iran in der Wissenschaft feiert oder wie wichtig das Land für die Stabilität in Zentralasien ist. Auch im Umgang mit dem Leid der Palästinenser gibt es eindeutige Präferenzen in der Berichterstattung, wie schon bereits hier und hier berichtet wurde.
Zuletzt wurde diese Art von Berichterstattung wieder sehr gut anhand des Drohnenabschusses durch Israel im April dokumentiert.

Drohnenabschuss von Israel

Am Donnerstag, den 25.04.2013, berichten israelische Medien über einen Abschuss einer Drohne im Norden Israels, welche angeblich aus dem Libanon in den israelischen Luftraum eingedrungen ist. Kurze Zeit später meldete bereits Spiegel Online "Israel schiesst Drohne aus dem Libanon ab", oder die Bild mit "Israel schiesst Hisbollah-Drohne ab" und die Süddeutsche "Israelische Luftwaffe schiesst feindliche Drohne ab".
CNN hielt sich wohl aus Erfahrung etwas zurück mit vorschnellen Anschuldigungen, und berichtete bloss das Israel eine Drohne abgeschossen hat (Israel forces shoot down a drone). FOXNEWS, New York Times, Huffington Post, Voice of America und viele weitere Zeitungen meldeten hingegen, dass eine Drohne aus dem Libanon, oder direkt von Hezballah, in den israelischen Luftraum eingedrungen ist. Sofort wurde also von der Tatsache das einfach EINE Drohne in Israel abgeschossen wurde, eine Story in der diese Drohne aus dem Libanon stammte und damit im Grunde nur die Hezballah gemeint sein konnte. Diese aber lehnten dieses "Angebot" ab und verneinten jegliche Verantwortung für diese Drohne, ganz im Gegensatz zu der abgeschossenen Drohne im Oktober letzten Jahres welche auch von der Hezballah bestätigt wurde.

Was aber in dieser Flut von Nachrichten der Meinungsbildenden Medienhäusern total ignoriert wurde, ist die Stellungnahme der UNIFIL (UN-Blauhelmmission im Libanon) zu diesem Zwischenfall. Andrea Tenenti, der Sprecher der UNIFIL im Libanon sagte, dass "keine Drohne über unser Operationsgebiet geflogen ist". 
Und schon bereits am nächsten Tag änderte sich die Story etwas, als Israel nun den Iran bzw. die iranische Revolutionsgarde beschuldigte die Drohne gestartet zu haben.
Wie gross war doch der mediale Rummel während den ersten 3 Tagen deswegen. Als dann schliesslich herauskam das Israel eine eigene Drohne abgeschossen hatte, welche aber offensichtlich von Hezballah geknackt wurde und Israel das Signal zur Drohne verlor, wurde schlichtweg NICHTS davon in deutschen oder amerikanischen Medien berichtet. Dass diese neueste Generation von israelischen Shoval Drohnen bereits geknackt wurde, zeugt nur davon wie hochentwickelt die Technik auf beiden Seiten ist und veranlasste die Israel Air Force sämtliche Drohnen dieses Typs vorerst auf dem Boden zu lassen.
 


Israelische Shoval Drohne












Was man in den Zeitungen und den entsprechenden Internetportalen auch nicht nachlesen kann, ist die massenweise Verletzung des libanesischen Luftraumes durch israelische Kampfjets, die teilweise mit Überschall über die Dörfer und Städte des Libanons fliegen und die Menschen so in Angst und Schrecken versetzen. Deswegen kündigte der selbe UNIFIL-Sprecher, der bereits der Story mit der Drohne aus dem Libanon ein Ende setzte, an, dass er einen Rapport über die ständige Verletzung der UN-Resolution 1701 durch Israel dem UN-Sicherheitsrat vorlegen wird.

Aber wie kann es sein dass der Journalismus, welcher eigentlich die Öffentlichkeit neutral und objektiv über Geschehnisse informieren sollte, in gewissen Bereichen so einseitig berichtet? Diese Frage zu klären ist nicht Aufgabe dieses Blogs, doch sehr wohl darauf hinzuweisen dass es Themen gibt welche nicht objektiv bearbeitet werden, sondern viel mehr mit der Brille des Heimatstaates und dessen politischer Agenda betrachtet werden.
In den USA kommt dazu noch ein weiteres Problem, nämlich die schrittweise Monopolisierung der Medienlandschaft. Nur noch sechs Konzerne kontrollieren die grössten Medienhäuser des Landes, und daraus resultiert erst recht ein zweckgebundener und Zielorientierter Journalismus, der die Meinung der Obrigkeit in den eigenen Berichten mitberücksichtigen muss. Die Wahrheit spielt da dann nur noch eine untergeordnete Rolle.


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