Donnerstag, 11. Juli 2013

Der Putsch in Ägypten und seine Folgen Teil 2

Das Massaker der ägyptischen Armee an über 50 Menschen (die Armee nannte diese Menschen "Terroristen") die vor dem Hauptquartier der Präsidentengarde ihr Protestlager aufgebaut haben, unterstützt nur jene Betrachtungsweise der Weltpolitik der Opponenten der Armee. Die wichtigste dabei ist, dass die Demokratie - zumindest jene Demokratie nach dem westlichen Verständnis und Muster - für die arabische Welt keine Gültigkeit besitzt. Denn ausgerechnet jenes Land welches sich die Promotion der Demokratie in diesem Teil der Erde auf die Fahne geschrieben hat, weigert sich den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Muhammad Mursi als das zu nennen was es schliesslich auch war: ein Militärputsch.
Es hätte auch demokratische Mittel zur Absetzung von Mursi gegeben, wie beispielsweise die Parlamentswahlen welche für Ende 2013 angesetzt waren. Oder ein Misstrauensvotum gegen den Präsidenten. Oder oder oder...  Aber unserem Verständnis nach steht ein Militärputsch nun mal nicht in der Liste der verfügbaren Mitteln. Also warum weigert sich dann US-Präsident Barack Obama das Kind beim Namen zu nennen, insbesondere nachdem die Afrikanische Union ihm in diesem Punkt bereits zuvor gekommen ist und die Mitgliedschaft Ägyptens vorübergehend ausgesetzt hat so lange es keine gewählte Regierung gibt? Und was für Obama in dieser Überlegung noch viel wichtiger sein müsste, ist dass er dadurch (wieder mal) US-Gesetze bricht welche die Zahlung von Hilfsgeldern unterbrechen müssen, "wenn der ordnungsgemäß gewählte Regierungschef durch einen Militärcoup (Putsch) oder durch ein Dekret herabgesetzt wird".

Nachdem das Weisse Haus nun offiziell bekannt gab, dass es die Zahlungen an Ägypten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einstellen werde, "weil es nicht den besten Interessen der Vereinigten Staaten dient", darf man die weitere Stellungnahme des Regierungssprechers Jay Carney als einziges Lippenbekenntnis auffassen als er sagte: "... wir hoffen dass damit die Möglichkeit zur Erreichung unserer langfristigen Ziele hier (in Ägypten) erhöht werden, die der Übergang in Ägypten zu einer demokratischen Regierungsform und eine demokratisch gewählte Regierung sind."
Für Hunderttausende Anhänger der Muslimbruderschaft und Unterstützer des gestürzten Präsidenten Mursi, aber auch für die Vielzahl von islamistischen wie auch extremistischen Gruppierungen in der GANZEN REGION, muss dieser Satz der Regierungssprechers von Obama wie blanker Hohn vorkommen. Was Carney damit impliziert, ob gewollt oder ungewollt ist absolut bedeutungslos, ist dass für die USA der demokratisch gewählte Präsident Mursi plötzlich nicht mehr als solcher anerkannt wird, weil Washington von Demokratie spricht sich aber gleichzeitig weigert die Armee aufzurufen den gewählten Präsidenten wieder ins Amt zu setzen. Und statt mit den Hilfsgeldern diesen Druck auf die Armeespitze in Kairo auszuüben, wird brav weiter bezahlt.

Dass sich die USA nun in diesem Dilemma befinden ist ganz und gar ihre eigene Schuld. Denn bereits nach dem Sturz von Hosni Mubarak kam dieses Gesetz zum tragen und die Zahlungen wurden damals zum ersten Mal seit 1979 suspendiert. Der Kongress wollte diesen Umstand gleich nutzen um die Wiedereinführung der Zahlungen nach Kairo an Bedingungen zu knüpfen. Und zwar sollten künftig die "Militärhilfsleistungen" nur dann erfolgen, wenn sich Ägypten an Grundfreiheiten für das ägyptische Volk hält. Doch die damalige US-Aussenministerin Hillary Clinton durchkreuzte diese vom Kongress auferlegten Bedingungen und nahm die "Militärhilfsleistungen" ohne die benötigte Bestätigung zur Beachtung der Grundfreiheiten in Ägypten auf. Weshalb sie das getan hat bestätigten andere Regierungsbeamte: die Verzögerung oder Verringerung der 1.3 Milliarden USD Militärhilfe an Ägypten würde bestehende Verträge mit US-Waffenproduzenten verletzen und zur Stilllegung von Produktionslinien führen, welche wiederum die Entlassung von amerikanischen Angestellten zur Folge hätten. Ausserdem würden die Vertragsstrafen bei Nichteinhaltung der Verträge etwa 2 Milliarden US-Dollars betragen, welche vom Pentagon und damit von amerikanischen Steuerzahlern zu tragen wären weil der Vertragspartner dieser Unternehmen nicht etwa die ausländischen Staaten sind, sondern das Pentagon.
Wie um diesen Punkt nochmal in aller Deutlichkeit zu unterstreichen, erklärte am Montag das Verteidigungsministerium das in den kommenden Wochen 4 neue Kampfjets des Typs F-16 geliefert werden und im Dezember 8 weitere F-16 folgen sollen.

Ausserdem gibt es da noch den Punkt mit dem Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel, dem Camp David Abkommen von 1979. Ein WikiLeaks Kabel von der US-Botschaft in Kairo erfasste 2009 die militärische Dimension der Hilfsleistungen folgendermassen:
"Präsident Mubarak und (andere) Militärführer betrachten unser Militärunterstützungsprogramm als den Grundpfeiler unserer mil-mil Beziehung (Militär zu Militär) und betrachten die jährlichen 1.3 Milliarden USD Zahlungen des FMF (Foreign Military Financing) als "unantastbare Kompensation" für den gemachten und gepflegten Frieden mit Israel. Die konkreten Vorteile unserer mil-mil Beziehung liegen auf der Hand: Ägypten hält den Frieden mit Israel ein, und das US-Militär geniesst prioritären Zugang zum Suezkanal und ägyptischen Luftraum."

Zur Untermauerung der Hypothese der gewaltbereiten Islamisten, dass man dem Westen nicht mit Demokratie entgegentreten kann sondern nur mit Gewalt, betrachten sie auch den Umstand dass es die USA nicht einmal geschafft haben das Massaker in strengster Form zu verurteilen, wie es sonst immer der Fall ist. Man darf hier, denke ich, durchaus die Parallele zu den Protesten 2009 im Iran (wobei dort kein Massaker stattgefunden hat!) ziehen und die Reaktion des Westens darauf, um festzustellen dass in der Konsequenz mit zweierlei Maßstab gemessen wird.  Doch bei einem Alliierten wie Ägypten fällt es schwer, noch dazu angesichts der schweren Hypothek wie oben beschrieben, dieses Verbrechen des Militärs zu verurteilen. Das einzige was man aus dem Weissen Haus diesbezüglich zu hören bekam, war, dass man "das Militär dazu aufrufe mit maximaler Zurückhaltung auf die Protestierenden zu reagieren." Diese Scheinheiligkeit wird niemandem auf der Oppositionsseite entgangen sein. Viele Intellektuelle in Ägypten, und zwar auf beiden Seiten des Machtkampfes, verurteilen dieses Massaker und die amerikanische Reaktion darauf und fragen sich zurecht, wie der Friedensnobelpreisträger im Weissen Haus Meilenweit von seinen Idealen abrücken konnte welche er in seinem Buch "The Audacity of Hope" (oder "Hoffnung wagen" auf deutsch) noch so eloquent beschrieb: "die Absetzung von demokratisch gewählten Führern in Ländern wie dem Iran, haben seismische Auswirkungen ausgelöst welche uns bis zum heutigen Tag verfolgen." Damit sprach Obama den von den USA und Grossbritannien inszenierten Putsch des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Muhammad Mossadegh im Jahr 1953 an.

Es mehren sich ebenfalls die Anzeichen dass die USA auch bei diesem Putsch gegen Präsident Mursi in irgendeiner Art und Weise involviert waren, oder zumindest der Putsch zwischen Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi und Washington im Vorfeld abgesprochen wurde. Die New York Times berichtete von den letzten Stunden des Muhammad Mursi im Amt und von einem Anruf zwischen dem Berater für Auswärtige Angelegenheiten des Präsidenten, Essam al-Haddad, und der Nationalen Sicherheitsberaterin von Obama, Susan Rice. In diesem Telefonat soll Rice dem Vertrauten von Mursi mitgeteilt haben, dass die Übernahme (bzw. der Sturz des Präsidenten) durch das Militär beginnen wird. Als al-Haddad zu seinen Kollegen zurückkehrte, teilte er ihnen mit: "Mutter sagte uns soeben das wir in einer Stunde aufhören werden zu spielen". Mit "Mutter" wird in Ägypten "Mutter Amerika" gemeint, ein sarkastischer Ausdruck für die harte Realität.
Es wäre aber falsch die USA als Strippenzieherin hinter diesem Putsch zu vermuten.
Saudi Arabien dürfte viel eher eine entscheidendere Rolle als die USA gespielt haben. Zwar wurde in den Medien die Ausbildung des Abdel Fattah al-Sisi in einer Militärakademie in den USA gemeldet, doch weniger bekannt ist seine Rolle als Militärattaché in Saudi Arabien. Hier wurden die entscheidenenden Kontakte geknüpft, hier laufen momentan die Fäden zusammen.

Für Saudi Arabien ist Ägypten als grösstes arabisches Land ebenso die Krönung wie es für das kleine Qatar war. Nur sind die Rollen und die Erwartungshaltung vertauscht. Wo Qatar die Muslimbruderschaft in Ägypten als Expansionsmotor dieser Ideologie nutzen wollte, möchte Saudi Arabien genau das Gegenteil erreichen: nämlich die Zerschlagung der Länderübergreifenden Strukturen der Muslimbruderschaft. Auch für den saudischen Kampf gegen den syrischen Präsidenten Bashir al-Assad ist die Zerschlagung der Muslimbruderschaft enorm wichtig, denn Riad möchte auf gar keinen Fall eine Implementierung der Bruderschaft in Syrien sehen. Auch das hat diverse Gründe:
- ein Staat unter einer Regierungsform welche gegen das korrupte Regime in Saudi Arabien ist, stellt eine Bedrohung dar
- die von Saudi Arabien finanzierten Jihadisten könnten sich nach Einstellung der Kämpfe in Syrien gegen das Königreich wenden (siehe Bericht "Saudi Arabiens Geister")
- auf gar keinen Fall möchte Riad dass es dem Iran gelingt in Syrien weiter Fuss zu fassen, was bei einer Regierungsform unter der Beteiligung der Muslimbruderschaft nicht ausgeschlossen ist

Kein Wunder also war es Saudi Arabien bzw. König Abdullah, der als Erster nur Stunden nach der Machtübernahme des Militärs gratuliert hat:
"In meinem eigenen Namen und im Namen des Volkes des Königreiches Saudi Arabien, gratuliere ich Ihnen zu der Übernahme der Führungsrolle von Ägypten in diesem kritischen Punkt ihrer Geschichte. Dadurch appelliere ich an Allah dem Allmächtigen, um Ihnen zur Bewältigung der Verantwortung zu helfen welche auf Ihre Schultern auferlegt wurde um die Hoffnungen unseres schwesterlichen Volkes der Arabischen Republik Ägypten zu erreichen. 
Gleichzeitig schütteln wir stark die Hände mit den Männern der gesamten Streitkräfte, repräsentiert durch General Abdel Fattah al-Sisi, der es geschafft hat Ägypten an diesem kritischen Punkt vor einem dunklen Tunnel zu bewahren, wo nur Gott dessen Dimensionen und Auswirkungen begreifen könnte, doch die Weisheit und Moderation dieser Männer zeigte sich bei der Bewahrung der Rechte sämtlicher Parteien im politischen Prozess.
Bitte nehmen Sie unsere Glückwünsche an Sie an und unseren tiefsten Respekt zu unseren Brüdern in Ägypten und dessen Volk, (und) wir wünschen Ägypten ständige Stabilität und Sicherheit."

Und prompt liessen Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate den Worten auch Taten folgen. Als am 9. Juli eine Delegation von Aussen- und Energieministern aus Abu Dhabi und Riad in Kairo landeten, brachten sie das mit was Ägypten am dringendsten braucht: Geld!
Noch am selben Tag überwies Abu Dhabi 1 Milliarde US-Dollars auf das Konto der ägyptischen Staatsbank und gewährte einen Kredit über 2 Milliarden US-Dollars.
Riad folgte auf dem Fusse und überwies ebenfalls am selben Tag eine Summe über 2 Milliarden US-Dollars auf das Konto der Staatsbank in Kairo, und liess saudisches Gas im Wert von 2 Milliarden USD als Geschenk nach Ägypten liefern sowie eine weitere Milliarde zur Stützung der ägyptischen Währung.
Auch Kuwait versprach eine Hilfe von 4 Milliarden US-Dollars, allerdings erst nach den Parlamentswahlen vom 27. Juli 2013.

Vergleicht man diese Zahlungen der arabischen Herrscherhäuser mit der Militärhilfe aus den USA, fragt man sich unweigerlich wieso sich Obama so schwer tut mit der Verurteilung der Geschehnisse der letzten Tage in Ägypten. Natürlich spielen die bereits oben genannten Gründe allesamt eine Rolle in der Überlegung des Weissen Hauses, doch ein wesentlicher Aspekt wurde dabei noch nicht erfasst: Israels Rolle im Tumult.
Die israelischen Medien schrieben in den letzten Tage über "Marathontelefonaten" über das Wochenende zwischen Jerusalem und Washington, in welchen die Israelis die Amerikaner drängten die Zahlungen an Ägypten nicht einzustellen. Israels grösste Sorge ist dass Washington auch noch das letzte bisschen Einfluss in der Region verliert, sollte die Militärhilfe an Ägypten eingestellt werden. Das WikiLeaks Kabel hat deutlich gezeigt, dass sich Kairo nur so lange an den Friedensvertrag mit Israel gebunden fühlt, wie die Zahlungen auch pünktlich eintreffen. Wenn das irgendwann mal nicht mehr der Fall sein sollte, könnte sich dieser erkaufte Frieden schnell ändern. Solange aber Ägypten auch US-Waffensysteme bezieht, haben die Amerikaner immer noch die Möglichkeit die Effektivität dieser Systeme bei Bedarf zu beeinflussen. Ohne US-Munition oder Ersatzteile bringt das ganze High-Tech Militär nichts. Und diesen Punkt möchte das Weisse Haus ganz sicher nicht aus der Hand geben.



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