Montag, 30. Juni 2014

Die Welt hat die Nase voll von Israel

"Die Welt hat die Nase voll von Israel" ist der Titel eines Artikels von Gideon Levy der in der israelischen Tageszeitung Haaretz erschienen ist. Es geht dabei um die völlig verwirrte und verzerrte Selbstwahrnehmung der israelischen Bevölkerung bezüglich der drei entführten Jugendlichen aus der Nähe einer illegalen israelischen Siedlung in der West Bank, und der schon an Hysterie grenzenden Suchoperation von diversen staatlichen Organen (siehe dazu auch meinen Bericht "Kollektive Bestrafung der Palästinenser"). Es ist ein Artikel der hart mit Israel ins Gericht geht, aber durchaus die Gründe beim Namen nennt und deshalb erscheint es mir als wichtig, diesen auch in die deutsche Sprache zu übersetzen.

"Was für eine brutale Welt: drei Yeshiva Studenten (Yeshiva = jüdisch-religiöse Schule) wurden entführt und die Welt interessiert sich nicht dafür; drei Mütter weinen sich aus und die Welt antwortet ihnen nicht. Es liegt daran weil die ganze Welt gegen uns ist; sie ist antisemitisch und hasst Israel. Die Anti-Defamation League (eine jüdisch-amerikanische Organisation die gnadenlos jeden an den Pranger stellt und als Antisemit öffentlich verurteilt, der den Staat Israel und dessen Politik/Verbrechen kritisiert) bereitet schon einen Bericht vor. Aber die Wahrheit ist, dass die Dinge nun mal so sind: wenn du der Welt in aller Öffentlichkeit jahrelang auf der Nase herumtanzt, kann es vorkommen dass sie es mal so zurückgibt. 

Die drei Mütter (der entführten Jugendlichen) sind den ganzen Weg bis nach Genf gegangen. Eine von ihnen reise überhaupt das erste Mal um zum Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu gehen. Doch die Welt, und der Rat, ging fröhlich ihres Weges. Es ist die Ironie des Schicksals: Vor zwei Jahren suspendierte Israel offiziell die Zusammenarbeit mit diesem Rat; zusammen mit den Marschall-Inseln, Palau und den USA, Israel lehnte selbst die Gründung dieses Rats ab. Aber jetzt, in der eigenen Not und der Verzweiflung der Mütter, wandte sich Israel an diesen Rat, welcher tatsächlich feindselig gegenüber Israel ist und mehr Zeit damit verbringt als mit jedem anderen Land. 
Plötzlich braucht Israel die Welt. Es brauch sogar die UNO, welche urplötzlich kein wertloses Stück mehr ist wie es einst Ministerpräsident David Ben-Gurion bezeichnet hatte. 

Es braucht schon eine ziemliche Portion Frechheit um von der Welt zu verlangen sich für drei entführte Israelis zu interessieren, und eine bemerkenswerte Dreistigkeit um enttäuscht zu sein nachdem man herausgefunden hat dass es nicht so ist. Zugegeben, Israel versuchte Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, und dessen Botschafter/Propagandist bei der UN gab eine bewegende Rede um so noch ein paar öffentliche diplomatische Punkte mehr gegen Hamas zusammen zu kratzen. Aber nachdem sie das Augenmerk darauf richtete (die Welt auf diesen Fall), interessierte sich diese bizarre Welt mehr für die Kampagne der kollektiven Bestrafung welche tausenden Bewohnern der West Bank nach der Entführung auferzwungen wurde.

So ist das mit einer Welt welche komplett gegen uns ist: sie interessiert sich mehr um die fünfzig Jahre alte Besatzung; sie regt sich mehr über das Schicksal von drei Millionen Palästinensern auf als über das Schicksal von drei Israelis. Der Welt mangelt es nicht an entführten Opfern, doch kein einziges von ihnen erhielt jemals so viel Aufmerksamkeit wie der entführte Soldat Gilad Shavit. Mit den gegenwärtig entführten Opfern hatte Israel keine Chance mehr. In den letzten zwei Wochen, welche ich in Schweden verbrachte, bin ich nicht über eine einzige Erwähnung der Entführung gestolpert. Nicht eine.

So sehen verrottete Früchte aus. Die Welt hat keinen Grund sich mehr für das Schicksal von Naftali Fraenkel, Eyal Yifrah und Gilad Shaar zu interessieren als für das Schicksal von deren Altersgenossen Muhammad Dudin, einen Jungen von 15 Jahren der letzten Freitag durch israelisches Feuer in Dura getötet wurde.

Es hat keinen Grund besonders bewegt von den eindringlichen Worten von Rachel Fraenkel zu sein, die meinte dass ihr Naftali ein guter Junge ist der es liebt Gitarre und Fussball zu spielen, wenn Mohammad doch auch ein guter Junge war, der seinem Vater während den Sommerferien geholfen hat das Haus zu bauen und Süssigkeiten verkaufte um seiner Familie zu helfen. Rachel will Naftali umarmen? Jihad, Muhammad`s leidtragender Vater, will auch seinen Sohn umarmen. Ihn brachte nebenbei bemerkt niemand nach Genf. Er blieb allein mit seiner Trauer, in dem kläglichen Haus welches noch nicht fertig gebaut ist, und womöglich nie fertig gestellt wird. 

Die Welt ist ein Chaos, wie sie es bezeichnen. Im Irak, Nigeria, Syrien und sogar der Ukraine ist die Situation viel brutaler. Und doch stammt das ganze Desinteresse der entführten Israelis nicht von daher. Es ist unmöglich von der Welt Sympathie zu verlangen, wenn Israel die Entscheidungen der Welt ignoriert; es ist unmöglich Handlungen zu verlangen wenn Israel die Besatzung verewigt; und es ist unmöglich Solidarität mit israelischen Opfern zu verlangen wenn das selbe ungerecht behandelte Israel weiterhin tötet, verwundet und Unschuldige einsperrt nur aufgrund der Routine

Jetzt entdeckt Israel dass es nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit ist wie es zuvor immer war, und dass das Schicksal von seinen entführten Opfern nicht mehr länger die Welt in Atem hält, nicht einmal in den Vereinigten Staaten. Die Welt hat die Nase voll von Israel und seinem Wahnsinn. Unglücklicherweise hat die Welt auch das Interesse an dem was hier passiert verloren. Als Israel ein gerechteres Land war (die israelische Politik war es nie, aber sehr viele Menschen in Israel), identifizierte sich die Welt mit dessen Opfern. Die Welt tat das auch weiter als Israel nicht mehr so gerecht wurde. Aber jetzt, wo Israel`s Zurückweisung immer neue Höhen erreicht und die Unterdrückung der Palästinenser zu den schlimmsten Perioden zurückkehrt, begann die Welt von all dem müde zu werden. Selbst die entführten nigerianischen Mädchen interessiert sie (die Welt) mehr."

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