Montag, 18. August 2014

Die Basis von Islamischer Staat (IS)

Nach etwas mehr als 2.5 Jahren seit dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak fallen wieder amerikanische Bomben im Irak. Der Grund für den erneuten Bombenhagel sind diesesmal die "Terroristen" der ISIS oder auch IS. Es sind wieder einmal Bomben aus humanitären Gründen, da sich die USA und einige europäische Länder plötzlich für das Schicksal der durch die ISIS-Kämpfer in die Zange genommene Sekte der Yeziden interessiert.

Selbstverständlich muss den armen Menschen geholfen werden die vor dem sicheren Tod in die Berge geflohen sind. Aber genau so muss auch den chaldäischen Christen im Irak und Syrien geholfen werden, die systematisch durch die ISIS vertrieben werden. Über 300`000 Chaldäer befinden sich auf der Flucht und mussten ihre Städte, die sie seit den Anfängen des Christentums bewohnt haben, den wahhabitischen Extremisten überlassen. Wieso haben es diese Menschen nicht verdient wenigsten in den Medien erwähnt zu werden, wenn ihnen schon nicht geholfen wird?

Und was ist mit den Syrern die unter der Schreckensherrschaft des IS leben, wie beispielsweise in Raqqa wo Kreuzigungen, Steinigungen und Enthauptungen, manche sogar mit einfachen Küchenmessern, an der Tagesordnung stehen?

Die Frage nach dem "Warum" und "Wieso gerade jetzt" sich Washington, London, Paris und Berlin für das Schicksal von Menschen interessieren, von denen sie bis vor einigen Tagen nicht einmal wussten dass es sie überhaupt gibt, ist denke durchaus berechtigt. Insbesondere der dringende Wunsch einiger deutscher Politiker wie Aussenminister Frank-Walter Steinmeier oder Verteidigungministerin Ursula von der Leyen mit Frankreich gleich zu ziehen und deutsche Waffen an die Kurden im Norden des Iraks zu liefern, müsste für riesige Fragezeichen sorgen.
Selbst wenn die Kurden diese Waffen erhalten, werden sie den Islamischen Staat weder besiegen noch gefährden können. Das einzige was sie dann besser können, ist sich selbst zu verteidigen.
Dadurch wird aber nicht etwa dem Staat Irak geholfen, sondern es wird aktiv eine kurdische Armee aufgebaut die den berechtigten Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden nur weiter Vorschub leisten wird. Mit anderen Worten gesagt, helfen diese Waffen nicht dem Staat Irak sich gegen die existentielle Bedrohung durch den Islamischen Staat zu wehren, sondern sie werden weiter dazu beitragen dass der Staat Irak zerfällt.

Wann hat also das plötzliche Interesse für die ohne Zweifel stark in Not geratene Minderheit der Yeziden angefangen? Erst dann, als ISIS Kämpfer die Offensive gegen die Stadt Erbil gestartet haben. Als zum Beispiel Mosul, die zweitgrösste Stadt im Irak, vor einiger Zeit ohne nennenswerten Widerstand an die ISIS gefallen ist, hat man das einfach zur Kenntnis genommen. Als Falluja Anfang des Jahres das gleiche Schicksal erlitt, kam auch niemand auf die Idee plötzlich Waffen liefern zu lassen oder Bombenangriffe zu fliegen. Es muss also an der Stadt Erbil liegen.
Erbil ist die boomende Stadt schlechthin im Norden des Irak. Es ist aber auch zugleich die "Hauptstadt" der Kurden. Seit dem Golfkrieg von 1991 konnte sich Erbil in nahezu vollkommener Autonomie und mit direktem Schutz der Amerikaner entwickeln. Während Bagdad und andere Städte auch nach Beendigung des Golfkriegs immer wieder durch amerikanische und britische Kampfflugzeuge bombardiert wurden, wurde den Kurden durch die Operation Provide Comfort humanitär, aber auch militärisch zur Seite gestanden. US Kräfte blieben bis 1996 auf kurdischem Gebiet stationiert, unter anderem auch in Erbil. Ab 1997 wurde dann erneut ein "Schutzschild" über Kurdistan durch die Operation Northern Watch gebildet, welche bis zur US-Invasion im Jahr 2003 ausgeübt wurde. Da in Erbil jede Menge amerikanische Staatsbürger leben und arbeiten, hauptsächlich Angestellte von Ölgiganten wie Chevron und ExxonMobile aber auch "Militärbeobachter", gilt es für Barack Obama seine Landsmänner und Landsfrauen zu beschützen. Eine Evakuation kommt aber nicht in Frage, da Erbil als Verwaltungssitz der riesigen Ölfelder von Kirkuk dient. Ausserdem haben verschiedene Unternehmen eine Menge Geld nach der US-Invasion in die Produktion der Ölfelder von Taq Taq und Tawke etwas östlich von Kirkuk gesteckt, die gerade erst angefangen haben Rendite abzuwerfen. Würde also Erbil fallen, wäre das Gebiet bis zu den Ölfeldern von Kirkuk für die Eroberer offen und die riesigen Investitionssummen der Ölgiganten dahin.
Nebst den wirtschaftlichen Interessen in diesem kurdischen Gebiet des Nordiraks, haben die USA in Erbil eine grosse CIA-Station aufgebaut, wo man unter allen Umständen (sowieso jetzt kurz vor den Senatswahlen) das gleiche Debakel wie in Benghazi erleben möchte als die dortige als US-Botschaft getarnte CIA-Station zerstört wurde. Darüber hinaus ist bekannt, dass Israel dieses kurdische Gebiet ebenfalls für ihre Aktionen gegen den Iran benutzt und es gerne sehen würde, dass das Erdöl aus Kirkuk durch eine von den Briten gebaute Pipeline wieder direkt nach Haifa/Israel fliessen würde. Kein Wunder sprach sich der israelische Ministerpräsident als erster und bisher einziger Staatsmann für die Unabhängigkeit Kurdistans aus.


Für den Islamischen Staat sind diese Ölfelder von Kirkuk natürlich ein wesentliches Ziel. Immerhin stehen allein im Irak bereits 7 Ölfelder und 2 Raffinerien unter der Kontrolle von ISIS, mit welchen sie pro Tag ungefähr 10`000 Barrel Öl verkaufen, was ca. 40 Tanklastzügen entspricht. Bei einer Eroberung der Superölfelder von Kirkuk würde sich ISIS auf einen Schlag zu einem Global Player der Ölproduzenten aufschwingen, mit einer Kapazität von etwa 0.5% der globalen Ölproduktion.
Angesichts dieser Aussichten lässt sich der plötzliche Aktionismus in Washington, London, Paris und Berlin etwas besser nachvollziehen.

Aber das Beispiel Afghanistan hat gezeigt, dass sich eine in der Bevölkerung akzeptierte Bewegung nicht durch Luftschläge besiegen oder zurückdrängen lässt. Auch die Kämpfer der ISIS haben von den Taktiken der Taliban gelernt, obwohl die geografischen Bedingungen der beiden Länder nicht zu vergleichen sind. Sie wissen dass sie keine statischen Stellungen einnehmen dürfen, da diese natürlich ohne Probleme aus der Luft ausgeschaltet werden können. Eine mobile Kampftaktik hingegen bietet der US Air Force keine guten Ziele, weshalb der erneute Einsatz der Kampfflugzeuge und Drohnen mehr als fragwürdig erscheint. Aber zumindest offenbarten sich so für alle Beteiligten die "Rote Linie" der Vereinigten Staaten von Amerika: Hände weg von Erbil und Kirkuk!

Was aber von sämtlichen westlichen Medienanstalten und jenen Politikern die den Kampf gegen ISIS führen möchten übersehen wird, ist die Tatsache dass es für ISIS nichts besseres gibt, als ein erneutes Bombardement der USA.
Natürlich sehen nicht sie sich als Terroristen, sondern die Amerikaner und Europäer die im letzten Jahrzehnt in Afghanistan, Pakistan, Irak, Yemen, Somalia, Libyen und Syrien nichts als Tod und Verwüstung gebracht haben. Und was ihnen dabei noch auffällt: es sind alles sunnitische Staaten.
Wie ich im Bericht "ISIS: Dilemma für USA und Westen" geschrieben habe, gibt es für den selbsternannten Kalifen des Islamischen Staats, Kaliph Ibrahim (oder Abu Bakr al-Baghdadi), nichts besseres als genau diese amerikanischen Luftschläge gegen seine Kämpfer. Diese Angriffe werden die innere Überzeugung der wahhabitischen Extremisten nur weiter zementieren und den religiösen Indoktrinationen recht geben die jeder ISIS-Rekrut durchlaufen muss bevor er auf das Schlachtfeld "darf".

Möchten Obama & Co. tatsächlich militärisch erfolgreich gegen den Islamischen Staat vorgehen, müssten sie diesen "Staat" nicht nur an der kurdischen Front bekämpfen, sondern eben auch auf allen anderen Seiten. Und das würde bedeuten, man müsste sich eingestehen dass die sinnlose Bewaffnung von syrischen "Rebellen" nichts weiter gebracht hat als dass diese Waffen und Ausbildung zu einem grossen Teil in die Hände der ISIS-Kommandeure gelangt ist, und dass auch ultimativ der Krieg gegen Bashir al-Assad gescheitert ist. Denkt man diesen Ansatz dann weiter zu Ende, würde das bedeuten man müsste den einzigen wirklichen Gegner im Kampf gegen die ISIS-Extremisten, nämlich die syrische Armee (und zu einem gewissen Grad auch Hezballah und die syrischen Kurden der YPG-Miliz die allesamt gegen die diversen Jihadisten Fraktionen kämpfen), unterstützen. So lange das nicht geschieht, gibt man sich in den westlichen Hauptstädten einer gefährlichen Illusion hin dass die Ausrüstung der irakischen Kurden ausreichend wäre.

Ein weiterer Punkt um den sich scheinbar niemand so wirklich zu interessieren scheint, ist die Frage nach der Basis des Islamischen Staats. Wer sind diese Jihadisten? Wieso kämpfen sie für diesen Islamischen Staat? Indem wir sie einfach nur als "Terroristen", "Terrormiliz" oder sonstwie bezeichnen, versperren wir uns den Weg zur Erkenntnis und damit auch den Weg zu einer geeigneten Strategie.

Was die ISIS-Kämpfer vereint ist ihr Glaube, der die Brücke über die diversen Herkunftsländer der Kämpfer spannt. Egal ob aus Deutschland, Grossbritannien, Frankreich oder den Philippinen, sie alle folgen der wahhabitischen Lehre Saudi Arabiens. Deshalb ist die Aussage nicht korrekt wenn man sie nur als Salafisten (Salafisten sind jene Muslime, die streng nach den Worten des Korans leben und diesen so versuchen zu interpretieren, wie er zur Zeit des Propheten Muhammad ihrer Meinung nach überliefert wurde) bezeichnet, denn nicht alle Salafisten sind Wahhabiten, aber alle Wahhabiten sind Salafisten. Während Salafisten ihre Überzeugung durch da`wa (Missionierung und Lehren) übermitteln wollen, verfolgt der Wahhabismus zusätzlich den Weg des Jihad zur Missionierung. Alle die sich nicht dem Willen des Wahhabismus beugen wollen, egal ob Muslime oder Nicht-Muslime, werden als takfiri oder mushrikun bezeichnet, die ihr Recht auf Leben damit verwirkt haben. Das gibt es in keiner anderen der muslimischen Rechtsschulen (siehe auch "Warum Saudi Arabien gefährlich ist").
Genau diese Doktrin führte zur Gründung des modernen Königreichs Saudi Arabien, doch während Ibn Saud als Anführer der Wahhabiten seine Grenzen in der Ausdehnung seines Reichs erkannte, sahen seine Ikhwan Gefährten darin einen Bruch mit der wahren Mission des Wahhabismus.

Was also heute mit dem Islamischen Staat (IS) entstanden ist, ist im Grunde nichts weiter als die Fortsetzung eines Projekts das mit der Gründung des modernen Saudi Arabiens begonnen wurde und aus der Sicht der Anhänger von IS zu einem abrupten Ende kam. In den hunderten von Madrassen und Islamischen Zentren die von Saudi Arabien weltweit finanziert wurden, wurde indessen aber die Ideologie des Muhammad ibn Abdul Wahhab aus dem 18. Jahrhundert weiter gelehrt.
Wie kann also die Gründung des Islamischen Staats, wo genau das ausgelebt werden soll was in den wahhabitischen Moscheen und Madrassen gelehrt wurde und mittels dem ebenfalls auf den Weg gegebenen Jihad erreicht werden soll, wie kann das also falsch sein?

Aufgrunddessen dass Saudi Arabien seit 1979 massiv in den Export des Wahhabismus investiert hat, konnte sich diese Ideologie auf verschiedensten Erdteilen etablieren und sogar den "traditionellen" Islam der sich je nach Land und Kultur entwickelt hat, teilweise verdrängen.
Seitdem wurde eine gesamte Generation von Muslimen auf allen fünf Kontinenten die diese von Saudi Arabien finanzierten Madrassen und Islamischen Zentren besucht haben, in der wahhabitischen Ideologie geschult. Nicht wenige davon sahen ihren Lebenszweck darin, ihre Überzeugung auch in die Tat umzusetzen und folgten dem Ruf des Kaliphen Ibrahim.

Dazu kommt, dass Saudi Arabien nicht nur ideologisch dem Islamischen Staat Pate stand, sondern auch zumindest indirekt an dessen Gestaltung mitwirkte. Insbesondere der als Bandar Bush bekannte Prinz Bandar bin Sultan, der über Jahrzehnte hinweg die politische Elite in Washington mit vielen Dingen für sich (und somit für Saudi Arabien) gewinnen konnte, überspannte in seiner Kapazität als Chef des saudischen Geheimdienstes in seinem persönlichen Hass gegen die Iraner (und somit auch gegen Schiiten) den Bogen des Tolerierbaren für die USA. Einen Hinweis auf seine Gedankenwelt lieferte der ehemalige Chef des britischen Geheimdienstes MI6 zwischen 1999 bis 2004, Sir Richard Dearlove, der in einer Rede am Royal United Service Institute letzten Monat etwas sagte, was einem zu denken geben müsste: "Die Zeit im Mittleren Osten ist nicht mehr weit davon entfernt lieber Richard, wenn es sprichwörtlich heisst Gott steh den Schiiten bei. Mehr als eine Milliarde Sunniten haben einfach genug von ihnen."
Das sollen nach Sir Richard Dearlove die Worte von Prinz Bandar bin Sultan an ihn gewesen sein, kurz vor seinem Rücktritt aus dem britischen Geheimdienst.

Für die Schiiten unter der Herrschaft von ISIS ist es in der Tat unmöglich geworden ihr Leben weiterzuführen, damit sollte Prinz Bandar Recht behalten haben. Aber was er vermutlich zum Zeitpunkt dieser Aussage nicht für möglich gehalten hätte, ist die Tatsache dass es überhaupt mal zu einem Gebilde wie dem Islamischen Staat kommt und nicht nur die Schiiten zum Ziel der Kämpfer des Islamischen Staats wurden. Auch das Königreich dessen Angehöriger er ist, gehört zum Ziel der IS. Das Haus Al Saud wird längst nicht mehr als Hüter der islamischen Heiligtümer von Mekka und Medina betrachtet, sondern als ein korruptes Herrscherhaus das nichts mehr mit der wahren Ideologie des Wahhabismus zu tun hat und somit gestürzt werden muss. Das gilt im Übrigen für alle Scheichtümer am Persischen Golf.

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