Montag, 11. August 2014

Gaza: Mission Accomplished?

Man kann die Parallelen zwischen der Selbstleugnung (oder viel mehr Täuschung der Öffentlichkeit?) eines George W. Bush nach seiner verbrecherischen Invasion des Iraks und jener des Binyamin Netanyahu nach seiner "Operation" im Gaza Streifen nicht von der Hand weisen. Allerdings scheint Netanyahu aus den Fehlern des George W. Bush gelernt zu haben, denn er vermied es persönlich das Banner des "Mission Accomplished" der Welt zu präsentieren wie es noch einst der amerikanische Präsident an Bord des Flugzeugträgers USS Abraham Lincoln getan hat. Die Demütigung eines verlorenen Krieges wird für immer mit dieser arroganten Inszenierung in Verbindung gebracht werden, mit George W. Bush als dessen Aushängeschild. Als Bush zehn Jahre später nach seinen grössten Fehlern während seiner zwei Amtszeiten gefragt wurde, nannte er nicht etwa die Invasion des Iraks, sondern dieses "Mission Accomplished"-Banner.

Nein, Binyamin Netanyahu wollte auf gar keinen Fall den gleichen Fehler begehen. Und doch hat er genau das getan als er nach 18 Tagen Bodenoffensive seine Truppen aus dem Gaza Streifen herausbeordert hat. "Mission Accomplished" hiess es da von Seiten der israelischen Armee, Mission Erreicht.



Nicht nur das die Mission erreicht wurde - von welcher selbst die Minister der Regierung Netanyahu nicht genau wussten wie diese überhaupt aussieht, geschweige denn ob sie wirklich erreicht wurde und was weiter passiert - ganz Israel soll sicherer sein behauptet die IDF. Wie ganz Israel aufgrund von 32 zerstörten Tunnels sicherer sein soll wird aber nicht weiter erläutert.

Nach fast 2000 Todesopfern und noch die dagewesener Zerstörungswut im Gaza Streifen, muss man sich wieder einmal die Frage stellen wozu das alles gut war. Im Falle der in Gaza eingeschlossenen Palästinenser ist diese Frage relativ schnell beantwortet: sie fordern ein Ende der kriminellen Blockade und eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Und das konnten sie bisher weder durch Verhandlungen, noch durch demokratische Wahlen erreichen. Ihre Stimme wurde leider nicht vernommen. Weder von den USA, noch von der EU, noch von der Palästinensischen Autonomiebehörde und erst Recht nicht von Israel. In den Augen der Menschen haben ihnen die, wie sie sie selbst nennen, Widerstandskämpfer diese Stimme zurückgegeben. Nicht nur dass man in der Welt von ihrem Leid wieder spricht (zu viel mehr wieder es leider nicht reichen), auch die Tatsache dass es dem Widerstand gelungen ist die übermächtige israelische Armee davon abzuhalten tiefer in den Gaza Streifen einzudringen, erfüllt die Menschen mit Stolz. Angesichts der verheerenden Zerstörung ist dieser Stolz fast das einzige, was man ihnen nicht nehmen kann. "Sie töten uns sowieso, entweder ein langsamer Tod durch die Belagerung, oder ein Schneller durch einen Militärangriff. Wir haben nichts zu verlieren: wir müssen für unsere Rechte kämpfen oder für den Versuch sterben." Das ist leider die traurige Realität in Gaza und auch die Antwort darauf, wieso die Menschen nach wie vor die Hamas unterstützen.

Im Falle Israels ist diese Frage aber alles andere als leicht zu beantworten. Die widersprüchlichen Angaben der Regierung von Netanyahu sorgten nicht nur bei seinen Ministern für Unmut, sondern selbst bei den Soldaten die er in den Gaza Streifen entsandt hat. Nicht wenige fragen sich, wohlwissend dass nicht alle Tunnels zerstört wurden, was das Ganze dann eigentlich sollte. Zuerst liess Netanyahu seine Bürger wissen, dass die Hamas zur Verantwortung gezogen werden muss weil er sie für die Ermordung der drei Jugendlichen aus einer illegalen Siedlung in der West Bank beschuldigt hat. Dann war plötzlich keine Rede mehr davon, sondern die Raketen waren es die es zu eliminieren galt. "Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung" hiess es da, und unsere Obamas und Merkels dieser Welt beeilten sich schnell dieses Recht zu bestätigen. Doch damit nicht genug, die Mission wurde erneut umbenannt. Nun galt es die "Terrortunnels" zu zerstören, kein Wort mehr von Raketen oder der drei ermordeten Jugendlichen. Mussten also fast 2000 Menschen ihr Leben lassen, damit Israel 32 "Terrortunnels" zerstören kann weil diese eine nationale Bedrohung für einen bis an die Zähne bewaffneten Staat darstellen?


Dieses Argument will nicht wirklich überzeugen, gelinde ausgedrückt. Und wenn Israel diese Tunnels tatsächlich als Bedrohung eingestuft hätte, dann wäre dennoch dieser Krieg und die 2000 Todesopfer nicht nötig gewesen wie man es am Beispiel von Ägypten sehr gut erkennen kann. Denn auch die neue Regierung in Kairo, die sich letztes Jahr an die Macht geputscht hatte, ging ohne jegliche Skrupel gegen diese Tunnels vor, wohlwissend dass damit die Lebensgrundlage für die unter der israelischen Blockade leidende Bevölkerung von Gaza entzogen wird. Es wurden eben "nur" die Tunnels zerstört oder deren Zugänge versiegelt, aber kein Krieg gegen eine schutzlose Bevölkerung deswegen geführt. 

Wurde die Hamas als Partei oder deren bewaffneter Flügel, die Izz al-Din al-Qassam Brigade, entscheidend geschwächt wie es der rechtsgerichtete israelische Aussenminister Avigdor Lieberman gegenüber der deutschen Bild-Zeitung behauptet hat?
Sollte es überhaupt als Mission in Frage gekommen sein dieses Ziel zu verfolgen, dann ist Netanyahu grandios damit gescheitert. Nicht nur dass die israelische Armee in Gaza eine Niederlage einstecken musste - ein Rückzug dieser hochgerüsteten Atommacht aus dem direkten Bodenkampf ohne die strategischen Ziele erreicht zu haben ist nichts weiter als eine Niederlage -, was der Bevölkerung freilich (noch) nichts gebracht hat, so hat Netanyahu aber genau das Gegenteil erreicht. Wo noch vor dem Krieg die politische Basis der Hamas bröckelte, ist sie jetzt gestärkt aus diesem Krieg herausgekommen. Und das nicht nur im Gaza Streifen, sondern auch in der West Bank! Bei Demonstrationen in vielen Städten Palästina`s konnte man nebst den Protestschildern gegen Israel auch sehr viele grüne Fahnen der Hamas sehen. Und das nicht weil die palästinensische Bevölkerung plötzlich über Nacht "militant" oder "radikal-islamisch" geworden ist, sondern weil Hamas im Vergleich zur dominierenden Fatah-Partei bzw. der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) den Widerstand gegen die israelische Besatzung nicht aufgegeben hat und eine Alternative zur korrupten und mit Israel kollaborierenden Regierung des Mahmoud Abbas darstellt. Für die Fatah Partei, die stärkste politische Kraft in der West Bank, könnten die für den Herbst angesetzten Wahlen in einem ähnlichen Desaster enden wie bereits 2006, als die Menschen die Hamas an die Macht gewählt haben. Die Gründe für die Abwahl der Fatah im Jahr 2006 gelten nach diesem Gaza Krieg noch mehr, und dass "verdankt" Mahmoud Abbas einzig und allein seinem Master Binyamin Netanyahu und seinem Krieg gegen die Hamas. Während die palästinensische Einheitsregierung zwischen Hamas und Fatah (also zwischen Gaza und West Bank) vor dem Krieg der rettende Anker für die Hamas war, und gleichzeitig für Binyamin Netanyahu den wahren Kriegsgrund darstellte (siehe "Wie Israel den Tod von 3 Jugendlichen ausgenutzt hat", verhält es sich nun genau anders herum. Möchte die Fatah nicht das Risiko eingehen und bei den kommenden Wahlen abgestraft werden, da Mahmoud Abbas bei der kollektiven Bestrafung seiner Bevölkerung durch Israel klar gemacht hatte dass die "Sicherheitskooperation mit Israel heilig ist", stellt diese Einheitsregierung ebenso einen rettenden Anker dar wie zuvor bei der Hamas.

Doch damit nicht genug. Viele fragten sich weshalb Mahmoud Abbas als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht die einzig wirksame Waffe gegen Israels Kriegsverbrechen eingesetzt hat, nämlich den Gang zum Internationalen Strafgerichtshof. Nur so hätten die Palästinenser die Möglichkeit, den Staat Israel oder dessen Vertreter für die begangenen Verbrechen anzuzeigen um so endlich Gerechtigkeit einzufordern. Um diesen Schritt aber überhaupt gehen zu können, müsste Palästina das Römische Statut unterzeichnen und ratifizieren, um so Vertragspartei des Internationalen Strafgerichtshofs werden zu können. Israel hatte den Vertrag zwar im Jahr 2000 unterschrieben, aber weigert sich seitdem diesen zu ratifizieren. Zwar hatte Abbas in der Vergangenheit immer wieder damit gedroht diesen Schritt zu unternehmen, doch auf massiven Druck der USA, Israel und der EU beliess er es bei den leeren Drohungen. Das gab israelischen Politikern und Kommentatoren immer wieder die Gelegenheit Mahmoud Abbas blosszustellen, indem sie behaupteten dass er nur deswegen zurückschreckt, weil er somit auch die Anklage von Palästinensern vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu befürchten hat. Abbas selbst begründete seine bisherige Weigerung damit, dass er nicht möchte dass Mitglieder der Hamas vor den Strafgerichtshof gezogen werden.
Durch dieses Hinundhergeschiebe ermöglichte Mahmoud Abbas also indirekt die völlige Straffreiheit Israels in der Ausübung der Kriegsverbrechen an seinem eigenen Volk. Glaubt man nun den neuesten Berichten aus Gaza, scheint dieser Vorwand aber nicht mehr länger seine Gültigkeit zu besitzen. Denn es ausgerechnet die Hamas die nun Abbas dazu drängt, seine Unterschrift auf ein bereits vorbereitetes und von der palästinensischen Führung der PLO unterzeichnetes Dokument zu setzen, um so endlich Israels Straffreiheit zu beenden.

Sollte Mahmoud Abbas tatsächlich seine Unterschrift unter dieses Dokument für die Annahme des Römischen Statuts setzen, wäre das ebenfalls eine direkte und völlig unbeabsichtigte Konsequenz von Netanyahu`s Krieg. Und womöglich kämen dann solche Verbrechen wie der angebliche Einsatz von Gaswaffen zum Vorschein, von deren Folgen Ärzte in Gaza berichtet haben. Von einer erfolgreichen Mission kann also keine Rede sein.

Auch die von einigen Ministern wie Naftali Bennett, Avigdor Lieberman, Yuval Steinitz oder Regierungssprecher Moshe Feiglin geforderte erneute Besetzung des Gaza Streifens wurde von Netanyahu und seinen Generälen abgelehnt, was nicht gerade zu Freudenrufen bei diesen Herren sorgte.

Politisch gesehen hat Israel mit diesem Krieg viele Kreditpunkte auf dem internationalen Parkett verspielt und für Proteste und Demonstrationen weltweit gesorgt. Doch auf einem Gebiet wird der Krieg in bare Münze umgesetzt: im Militärisch-Industriellen-Komplex.
Deutschland lässt ausgerechnet jetzt verkünden, dass man Bundeswehrsoldaten in Israel für den "Häuser- und Tunnelkampf" ausbilden lassen möchte. Auch das vierte deutsche U-Boot der Dolphin-Klasse soll im "Austausch" für israelische Drohnen geliefert werden. Südkorea meldete Interesse an dem Raketenabwehrsystem Iron Dome an, welches vom amerikanischen Steuerzahler kräftig subventioniert wird. Es gibt in der Welt von Raketensystemen, Bomben oder Drohnen kein besseres Gütesiegel als "im Kampf getestet".
"Für die Verteidigungsindustrie ist diese Kampagne wie ein Schluck aus einem sehr starken Energydrink, es gibt ihnen einfach einen enormen Vorwärtsschub", sagt die Leiterin des Israel Büros des amerikanischen Magazins Defense News.

Viel mehr als die Belebung des israelischen Militärisch-Industriellen-Komplexes hat Binyamin Netanyahu nach seinem "Mission Accomplished" nicht vorzuweisen. Oder vielleicht doch. Er hat es einmal mehr geschafft die ganze Welt an der Nase herumzuführen indem er einen Krieg gegen eine wehrlose Bevölkerung geführt hat, ohne dass er dafür jegliche Konsequenzen tragen musste. Zwar musste das George W. Bush bei seiner Irak Invasion auch nicht, aber immerhin flossen einige Milliarden an amerikanischen Steuerdollars in den "Wiederaufbau" des Iraks (sofern man das überhaupt so bezeichnen kann). Aber Netanyahu muss sich nicht einmal deswegen Sorgen machen; während er die massive Zerstörung in Gaza angeordnet hat, erwartet niemand dass er für den Wiederaufbau zur Kasse gebeten wird. Die Europäische Union (sprich wir Steuerzahler) bot sich für die Begleichung dieser Rechnung an. Ziel also doch erreicht?


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