Freitag, 5. September 2014

Barack Obama will ISIS "degradieren und zerstören"

Noch letzten Donnerstag, am 28. August 2014, erklärte US-Präsident Barack Obama dass das Weisse Haus "noch keine Strategie" zur Bekämpfung des wahhabitischen Islamischen Staates (IS) hat. Man muss aber fairerweise anmerken, dass diese Aussage auf eine explizite Frage eines Journalisten war, der gefragt hatte ob Obama "die Erlaubnis des Kongresses braucht um nach Syrien zu gehen". Gemeint war ob Obama Luftschläge oder eventuell auch Bodentruppen für Syrien ohne ausdrückliche Ermächtigung durch den Kongress anordnen würde, wie er es im Falle von Libyen getan hatte und auch letztes Jahr ganz kurz davor stand diese für Syrien zu genehmigen.

Eine Woche später scheint man nun doch eine Strategie gefunden zu haben. Aus Tallinn, der Hauptstadt des baltischen Staates Estland, wo sich Obama zur Zeit aufhält um der Region die amerikanische Unterstützung gegen die angebliche Bedrohung aus Russland zu versichern, eröffnete der amerikanische Präsident der Welt die neue Strategie:
"Unser Ziel ist klar und das ist die Degradierung und Zerstörung von ISIL (ein anderer Name vor der Ausrufung des IS-Kalifats = Islamic State of Iraq and Levante), so dass es nicht mehr länger eine Bedrohung ist - nicht nur für den Irak, sondern auch für die Region und die Vereinigten Staaten."
Obama machte auch vage Angaben wie diese neue Strategie umzusetzen ist, indem die USA in einer Kombination von regionaler Zusammenarbeit, Luftschlägen und Bodenoffensiven die wahhabitischen Extremisten der ISIS bezwingen wollen.

Das ist auch prinzipiell der einzige Ansatz der zum Erfolg führen könnte. Die grösste Frage wird sein, wie diese "regionale Zusammenarbeit" aussehen wird. Diese Frage wird über den Erfolg oder eben Misserfolg entscheiden. Bis jetzt scheint Washington die richtigen Hebel in Bewegung gesetzt zu haben, wie das Beispiel der irakischen Stadt Amerli erst kürzlich gezeigt hat. Eine entscheidende Rolle bei der Sprengung des Belagerungsringes die die wahhabitischen Extremisten um die Stadt Amerli gelegt haben, spielte der Iran. Zwar wird in den westlichen Medien hauptsächlich das US-Bombardement der ISIS-Stellungen als Ursache für diesen ersten, wichtigen Sieg porträtiert, doch in Wahrheit wird Washington diesen Kampf nicht ohne die Zusammenarbeit mit dem Iran   gewinnen können (siehe zum Beispiel FAZ oder Focus).  

                   Qassem Suleimani - General und Kommandeur der Al Qods Force der iranischen Revolutionswächter

Entscheidend wird aber auch sein, wie Saudi Arabien und die anderen Petromonarchien auf diese wichtige iranische Rolle reagieren werden. In den bisherigen bewaffneten Konflikten in der Region seit dem Golfkrieg von 1991 spielten sie eine wesentliche Rolle, doch diesesmal sind sie dazu verdammt von der Seitenlinie die Entwicklung zu beobachten. Denn der Islamische Staat ist nicht nur deshalb zur grössten Bedrohung der korrupten Herrscherhäuser auf der Arabischen Halbinsel geworden weil sie ihm bei der Taufe Pate standen, sondern weil die Ideologie hinter dem Islamischen Staat dieselbe ist, die insbesondere in Saudi Arabien nach wie vor der Grundpfeiler des Königreiches darstellt: der Wahhabismus.

Aus aktuellem Anlass veröffentliche ich untenstehend noch einmal einen Artikel aus dem letzten Jahr, da er gerade in dieser Situation im Kampf gegen den Islamischen Staat nichts an Aktualität verloren hat.

Warum Saudi Arabien gefährlich ist (03.09.2013)


 Es ist schon seltsam wie schnell die Menschen vergessen. In ein paar Tagen werden sich die Menschen für eine Gedenkminute anlässlich der Todesopfer von 9/11 zum zwölften Mal (13. Mal in 2014) sammeln, diesesmal vor dem fertig gestellten One World Trade Center , an exakt der gleichen Stelle wo 2001 noch die Zwillingstürme von New York standen.
Man wird sich der Opfer gedenken und angesichts des neuen Wahrzeichens von New York aber auch gleichzeitig stolz darauf sein, dass die amerikanische Nation sich nicht vor dem islamistischen Terror in die Knie zwingen lässt. Woran aber so gut wie niemand mehr daran denkt, oder besser gesagt, woran man noch überhaupt wenig in der breiten Öffentlichkeit gedacht hat, ist die Tatsache dass fast alle der Terroristen in diesen Flugzeugen Bürger aus Saudi Arabien waren.

Sie kennen ja die weitere Geschichte. Der damalige US-Präsident George W. Bush erklärte seinen "Krieg gegen den Terror" (eine schreckliche Bezeichnung da man keinen Krieg gegen eine Form des Krieges führen kann, das wäre so wie wenn man sagt man führt Krieg gegen den asymetrischen Krieg) und marschierte in Afghanistan ein, 1,5 Jahre später dann auch noch in den Irak.

Noch heute stehen die USA und die EU zusammen mit Saudi Arabien auf einer Seite im Krieg in Syrien, genau so wie in der Dämonisierung des Irans. Und das obwohl den jeweiligen Geheimdiensten bekannt ist, dass es Hunderte wenn nicht gar Tausende von Saudis gibt, die bereits im Irak gegen die US-Truppen gekämpft haben und nun Seite an Seite in Syrien mit eben jener Organisation stehen, die doch eigentlich für den Anschlag von 2001 auf die USA verantwortlich sein soll.

Folgt man nur den Medien dann käme man gar nicht auf die Idee, dass sich hinter der Fassade des vermeintlichen Partners, oder wie es der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert bezeichnete, einer "Stabilität in der Region", ein gänzlich anderes Bild sich präsentieren würde. Bundeskanzlerin Merkel definierte diese "Stabilität" noch etwas genauer: "Wir brauchen Stabilität und Sicherheit, gerade der Iran ist eine grosse Bedrohung."
Der Iran ist also eine Bedrohung, angeblich wegen des Atomprogramms welches das Land zwar absolut legal betreiben darf, doch von Israel und dann auch von den USA so nicht akzeptiert wurde. Nun hat auch Deutschland dieses Mantra übernommen, denn um was für eine Gefahr es sich konkret handeln soll die vom Iran ausgeht, hatte Frau Merkel nicht angegeben.
Die andere Botschaft aus dem gleichen Satz war aber, dass Saudi Arabien als Stabilitätsfaktor des Mittleren Ostens betrachtet wird. Nun, mit Sicherheit stellt Saudi Arabien einen wesentlichen Faktor in der Region dar, nur nicht als den herbeigewünschten Stabilitätsfaktor.

Betrachtet man ganz nüchtern die Realität des heutigen Mittleren Ostens, dann stellt Saudi Arabien genau das Gegenteil dar, nämlich einen Un-Stabilitätsfaktor!
Wie ich bereits im Bericht "Saudi Arabiens blutige Spur" berichtete, beschwerte sich Obama`s erste Aussenministerin Hillary Clinton im Jahr 2010 darüber, dass Saudi Arabien nach wie vor zu den grössten Unterstützern von Terroristen gehört. Jawohl, Saudi Arabien, jenes Land das nach den Worten von Angela Merkel für Stabilität und Sicherheit in der Region sorgen soll, gehört zu den grössten Unterstützern von Terroristen.
Es ist aber nicht die saudische Regierung, sprich das Haus Al-Saud, welche eine offizielle Politik in der Unterstützung von wahhabitischen Terroristen und Extremisten verfolgt, sondern es ist viel mehr das wahhabitische System welches dafür verantwortlich ist. Da aber das Haus Al-Saud unmittelbar an diesem System beteiligt ist, trägt es durch die Gewährung dieses Systems auch indirekt für die Prolifikation der wahhabitischen Missionierung und Finanzierung von Madrassas, Islamischen Zentren und auch extremistischen Gruppierungen die Verantwortung.

Dieses Problem scheint nun auch die EU erkannt zu haben und hält in der Studie des Europäischen Parlaments fest; dass "basierend auf diesen Ergebnissen und dem Ausmass der Verwicklung in terroristische Aktivitäten von Salafisten/Wahhabiten, müssen wir das Risiko der endlosen Fortsetzung der Bedrohung feststellen, welche vor allem die lokale Bevölkerung plagt, aber auch die politischen und wirtschaftlichen Interessen aller Nationen in dieser Region (bedroht)."
In der gleichen Studie wird auch festgehalten, dass diese wahhabitischen Gruppierungen auch weiterhin von Saudi Arabien finanziert und unterstützt wurden.
Die EU ist aber nicht die einzige Institution die von der wahhabitischen Verbindung zwischen Saudi Arabien und den diversen ideologisch nahestehenden Gruppierungen Bescheid weiss. Es gab in den letzten Jahren zahlreiche Anhörungen vor verschiedensten Ausschüssen in den USA (siehe hier, hier und hier), die allesamt die gleiche Botschaft vermittelten: nicht die direkte saudische Regierung (also offizielle Regierung) stellt eine Bedrohung dar, sondern die globale Prolifikation des Wahhabismus, welches aber als Grundpfeiler der offiziellen saudischen Aussenpolitik dient.

Bisher vermied man es tunlichst eine Beziehung zwischen Saudi Arabien und dem Terrorismus öffentlich herzustellen, wie sich nun aber herausstellte hat Prinz Bandar bin Sultan, der Chef des Geheimdienstes, genau das zum ersten Mal getan als er in Moskau bei Vladimir Putin um seine Hilfe bat. Bandar sagte zu Putin: "Es gibt viele gemeinsame Werte und Ziele welche uns zusammenbringen, insbesondere der Kampf gegen Terrorismus und Extremismus überall auf der Welt. ... Zum Beispiel kann ich Ihnen eine Garantie zum Schutz der Winter-Olympiade in Sotschi am Schwarzen Meer nächstes Jahr geben. Die tschetschenischen Gruppen welche die Sicherheit der Spiele bedrohen werden durch uns kontrolliert, und sie werden sich nicht in Richtung Syrien bewegen ohne es mit uns zu koordinieren. Diese Gruppen machen uns keine Angst. Wir nutzen sie gegen das Syrische Regime, aber sie werden keine Rolle oder Einfluss in Syriens politischer Zukunft haben."
Darauf erwiderte Putin: "Wir wissen dass ihr die Tschetschenischen Terroristen über ein Jahrzehnt lang unterstützt habt. Und diese Unterstützung, über welche Sie gerade eben so offen gesprochen haben, ist komplett unkompatibel mit den allgemeinen Zielen des Kampfes gegen den globalen Terrorismus welchen Sie erwähnt haben."

Wie Recht der russische Präsident doch hat, man kann sich nicht als Partner im Kampf gegen globalen Terrorismus verkaufen, während man gleichzeitig genau diesen Terrorismus unterstützt und teilweise sogar, nach den Worten Prinz Bandar`s, kontrolliert.

Um diese Situation zu verstehen, muss man sich mit der einzigartigen Konstellation des saudischen Machtsystems auseinandersetzen. Einen Anfang habe ich mit dem Bericht "Aufstieg des Wahhabismus" und "Saudi Arabien Teil 2" gemacht, aber das reicht noch nicht ganz um die Gefährlichkeit des saudischen Systems tatsächlich zu verstehen. Da aber genau dieses Verständnis für einige der aktuellen Krisen unerlässlich ist, versuche ich einen erneuten Vorstoss.

Wahhabismus

Der Wahhabismus ist per se eine eine religiös-theologische Abweichung der klassischen sunnitischen Islamschulen wie Hanafi, Ja`fari, Maliki, Shafi`i und Hanbali und wurde bei seinem Erscheinen im 18. Jahrhundert von den anderen islamischen Führern als Häresie abgetan.
Hauptsächlich deshalb weil der Wahhabismus für sich den Anspruch erhob, die einzig wahre Lehre nach den Vorstellungen des Propheten Muhammad zu sein und alle andere Muslime welche sich nicht dieser neuen Lehre unterwerfen wollten, wurden als Ungläubige bezeichnet welche das Leben nicht verdient haben. Gleichzeitig erachteten es die Wahhabiten als ihre missionarische Pflicht, ihren Glauben nach Aussen zu bringen. Diese Missionierung wurde allerdings nicht durch Predigten oder Überzeugungen durchgeführt, sondern mit den Mitteln des Jihad.
Das stellte eine absolutes Novum im Islam dar. Keine andere Rechtsschule der Sunniten, noch die Schiiten, versuchten andere Muslime durch einen Jihad zu ihrer Interpretation der Lehre des Propheten zu unterjochen. Ausserdem hatten die Menschen die diesen "Missionierungen" der Wahhabiten ausgesetzt waren gar keine Wahl: entweder sie unterwarfen sich oder sie wurden getötet!
Für die Wahhabiten wurde somit der Jihad gegen Ungläubige, und wie schon gesagt waren damit nicht nur Nicht-Muslime gemeint, zum sechsten Grundpfeiler ihrer Religion (der Islam beruht auf 5 Grundpfeilern die jeder Gläubige einhalten muss: Glaubensbekenntnis shahada, Gebet salat, Almosenabgabe zakat, Ramadanfasten saum, Pilgerfahrt nach Mekka hajj).

Dieser Jihad muss nicht zwingend für jedermann gleichbedeutend mit Waffengewalt sein, das kann auch in Form der Weiterverbreitung des Wahhabismus oder auch der finanziellen Unterstützung von Organisationen sein, die sich entweder der Weiterverbreitung oder eben des bewaffneten Kampfes verpflichtet haben. 

In der Praxis bedeutet das also dass es eine heilige Pflicht für reiche Wahhabiten darstellt, wenn sie Organisationen zur Missionierung der islamischen Welt, der umma, wie beispielsweise die WAMY oder OIC unterstützen oder eben auch bekannte Terrorgruppierungen wie Al Qaida, Lashkar e-Taibi oder Lashkar e-Jhangvi in Pakistan finanziert.
Betrachtet man das Curriculum der Schulen in Saudi Arabien und den Umstand, dass über die Hälfte der Pflichtfächer mit der Religionslehre zu tun haben, dann wird man verstehen können woher dieser religiöse Extremismus von Jihadisten aus den verschiedensten Ländern kommt.
Hier einige Auszüge aus den saudischen Schulbüchern:

- Bücher aus der 4. Klasse legen den Schülern nahe, "Polytheisten und Ungläubige zu hassen, damit sie zum Wahren Glauben finden.
- Bücher aus der 5. Klasse lehren die Schüler, dass "Muslime die ungläubigen Feinde Gottes weder lieben noch ihnen helfen dürfen". Mit "ungläubigen Feinden Gottes" werden primär Juden, Christen und Schiiten bezeichnet. Weiter wird von den Juden behauptet dass sie Nachfahren von Affen sind, während Christen von Schweinen abstammen.
- Bücher aus der 6. und 7. Klasse befassen sich u.a. mit Vorgaben für die muslimische Welt. So darf beispielsweise an Beerdigungen niemand anderes sprechen als der Vertreter des Klerus, Gefühle zeigen dürfen die Angehörige des Verstorbenen nicht und es darf an Gräbern nicht gebetet werden. Wer das alles dennoch tut, wird als "Ungläubiger" gebrandmarkt und entsprechend behandelt, weil diese "Schandtaten" eine direkte Nachahmung der Christen sei.
- Bücher aus der 9. Klasse beziehen sich viel mehr auf den Kampf gegen Ungläubige. So steht geschrieben dass "es Teil der Weisheit Gottes ist, dass der Kampf zwischen Muslimen und Juden bis zur Stunde des Gerichts weiterführt."
- In der 12. Klasse wird dann die Pflicht des Jihads gelehrt. So heisst es dort: "Jihad auf dem Pfad Gottes - welcher aus dem Kampf gegen Unglauben, Unterdrückung, Ungerechtigkeit, sowie gegen jene die es ausführen, besteht, - ist das Höchste im Islam. Diese Religion entstand durch den Jihad und durch Jihad wurde sein Banner emporgehoben. Es ist eines der nobelsten Taten welchen einen näher zu Gott bringen, und einer der prächtigsten Handlungen des Gehorsams gegenüber Gott."

Und genau das was in den Schulen Saudi Arabiens gelehrt wird, wird natürlich auch in den vielen Madrassen (religiösen Schulen) den Studenten eingetrichtert die von Saudi Arabien unterstützt, gefördert und/oder finanziert werden. Insbesondere in Pakistan und Indien, aber auch im Kaukasus, einigen Ost-Afrikanischen Ländern sowie in Bosnien ist dieser Einfluss des Wahhabismus deutlich spürbar.


Wahhabismus vs. Muslimbruderschaft

Durch die besondere Konstellation des Wahhabismus in Saudi Arabien, nämlich die Verschmelzung des Klerus mit dem Haus Al-Saud (zurückzuführen auf das Jahr 1744 durch die Allianz von Muhammad ibn Abdul Wahhab und Muhammad ibn Saud), besitzt die ulama (der Klerus) über eine ungewöhnliche Machtfülle innerhalb einer ansonsten äusserst absolut geführten Monarchie. So untersteht der ulama das Bildungs- und das Justizministerium wo das Königshaus nichts zu sagen hat. Obwohl der Wahhabismus keine andere Form der Anbetung als nur zu Gott akzeptiert, wird den Bürgern und Bürgerinnen von Saudi Arabien bedingungslose Loyalität gegenüber dem König abverlangt. Keine Demokratie, keine Opposition oder Reformbewegung oder Ruf nach einer gerechteren Verteilung der Öleinnahmen.

Hingegen ist die Muslimbruderschaft gänzlich anders strukturiert und aufgebaut. Gegründet in den 1920er Jahren in Ägypten durch Hassan al-Banna, sollte die Muslimbruderschaft "dem Vaterland, der Religion und der Nation dienen". Bereits dieser erste Slogan der Muslimbruderschaft zeigte, dass es sich bei dieser Organisation um eine Form von Nationalismus handelte, wobei natürlich der Islam als Religion eine wichtige Rolle für die Definition der Werte und Moral spielen sollte. Hassan al-Banna verstand sich und seine Organisation als anti-britisch und pro-ägyptisch. Dabei muss man sich kurz vor Augen führen dass Ägypten zu diesem Zeitpunkt zwar eine Monarchie war, aber gänzlich unter der Kontrolle Grossbritanniens stand. Aus diesem Grund war auch al-Banna gegen die Briten und deren Kolonialherrschaft genau so wie er gegen die korrupte Monarchie war.
Im Gegensatz zum Wahhabismus in Saudi Arabien ging es der Muslimbruderschaft nicht um die Verbreitung einer bestimmten Glaubenslehre, ganz im Gegenteil. Solange die Mitglieder sunnitische Muslime waren und alle dem obersten Ziel, der Absetzung der Monarchie und Vertreibung der Briten dienten, spielte der einzelne Glaube der Mitglieder keine Rolle für die Organisation. Man verstand sich als eine politische Organisation, nicht als eine theologische.
Durch diese Positionierung der Muslimbruderschaft gelang es al-Banna eine grosse Anhängerschaft in kürzester Zeit zu gewinnen und mit dem ausgebrochenen Kampf um Palästina, wurde die Muslimbruderschaft auch "internationalisiert" und nahm selbst an Kampfhandlungen teil.

Im Februar 1949 wird Hassan al-Banna von Unbekannten getötet, nachdem am 28.12.1948 der ägyptische Ministerpräsident Mahmoud al-Nuqrashi von einem Mitglied der Muslimbruderschaft ermordet wurde. Eine Ära der Organisation ging nach dem Tod von al-Banna zu Ende, aber nicht sie selbst. Bei dem Militärputsch 1952 durch die Freien Offiziere unter der Führung von Gamal Abd al-Nasser spielte die Muslimbruderschaft eine wesentliche Rolle, unter der Bedingung dass die Freien Offiziere nach der Machtergreifung sich an die Abmachung wie Islamisierung Ägyptens halten würden. Doch Nasser dachte nicht daran seinen Teil der Abmachung zu halten, was ihm natürlich den Zorn der Muslimbruderschaft bescherte. Dieser Zorn entlud sich am 26.10.1954 in einem Attentatsversuch an Nasser, welchen er aber überlebte. Was folgte war eine regelrechte Verfolgung und Ausrottungsversuch des Regimes gegenüber der Muslimbruderschaft (ähnlich wie jetzt nach dem Putsch gegen Präsident Mursi), was viele Mitglieder dazu veranlasste ins Exil zu fliehen.

Ein sehr grosser Teil dieser Exilanten floh nach Saudi Arabien, wo sie mit offenen Händen empfangen wurden. Just zu dieser Zeit suchte Saudi Arabien händeringend nach qualifizierten Lehrern als das Königreich die ersten Früchte aus der Ölindustrie in die Bildung umzusetzen versuchte. Da kamen die ägyptischen Flüchtlinge einem Geschenk Gottes gleich: viel besser ausgebildet, auf der Suche nach Sicherheit und mit Hass auf das ägyptische Regime waren diese Männer die perfekten Kandidaten.
Obwohl ja ein grosser Teil dieser Exilanten eine andere Vision der Staatsführung und der Rolle des Islams hatten als die wahhabitischen Saudis, waren sie zu jenem Zeitpunkt nie eine ernsthafte Bedrohung für das Haus Al-Saud. Das ganz normale saudische Volk wuchs erst noch in die Rolle einer moderneren Zivilgesellschaft heran, die Verankerung in der Beduinischen Tradition und der wahhabitischen Religion insbesondere in deren Stammland, dem Najd, noch tief und fest. Ausserdem sorgte die ulama während den Freitagspredigten dafür, dass bei allfälligen "Auswüchsen" der neuen Lehrer und Professoren nicht zu viel Gewicht beigemessen wird.
Allerdings traf in Saudi Arabien auch noch eine andere, eine neue Strömung der Muslimbruderschaft ein: die "Qutbisten", benannt nach Sayid Qutb.

Sayid Qutb war sozusagen ein Neuzugang in der Muslimbruderschaft, er schloss sich 1951 der Organisation an nachdem er von seiner Studienreise in die USA völlig radikalisiert nach Ägypten zurückkehrte. Auch die Säuberungswelle von Nasser und seiner eigenen Inhaftierung nach dem Attentatsversuch, sorgte dafür dass Sayid Qutb eine völlig andere Vision der Muslimbruderschaft entwickelte als es Hassan al-Banna und seine Nachfolger geplant hatten.
Das wichtigste Merkmal von Qutb war seine öffentliche Erklärung, dass die ganze muslimische Welt unislamisch sei. Unislamisch deswegen, weil seiner Meinung nach die Muslime nur und ausschliesslich Gott zu folgen haben und nicht einem irdischen Vertreter. Da es aber überall einen Präsidenten oder König gab, erkärte er konsequenterweise die islamische Welt für un-islamisch. Diese Ansicht ist nicht neu oder eine Erfindung von Qutb, sondern entspricht der Weltsicht des mittelalterlichen Gelehrten (von 1263-1328)  Ibn Taymiyya

Dieser Strom der Muslimbruderschaft, die Qutbisten, fanden in Saudi Arabien eine Ordnung vor, die ganz und gar ihrer eigenen Weltsicht entsprach. Es entstand eine äusserst fruchtbare Interaktion zwischen Wahhabiten und den Qutbisten. Wo vorher so gut wie gar keine politische Dimension innerhalb des Wahhabismus bestand, entwickelte sich die Verschmelzung der Qutbisten und deren wahhabitischen Schülern zu einer eigenständigen, hoch politisierten wahhabitischen Kraft: der sahwah (die Erweckung). Ein junger Mann namens Osama bin Laden war beispielsweise das prominenteste Ergebnis dieser Verschmelzung, als er beim Bruder von Sayid Qutb, Muhammad Qutb, die Schulbank drückte, ebenso wie sein späterer Mentor in Pakistan, Abdallah Azzam.

Als der von Gamal Abd al-Nasser propagierte Pan-Arabismus schliesslich zusammenbrach, bedeutede das im ersten Moment eine riesengrosse Erleichterung für die saudischen Herrscher. Denn der von Nasser propagierte "ein Staat für alle Araber" stellte eine elemantere Bedrohung für das Haus Al-Saud dar. Die Herrscherfamilie wusste dass sie nicht über einen uneingeschränkten Zuspruch der saudischen Bevölkerung verfügte, und die Gefahr dass sich das Volk gegen die Herrscherfamilie auflehnte war zumindest theoretisch äusserst real. In der Praxis aber war das saudische Volk nicht bereit für einen Sturz, es fehlte an enstsprechenden Anführern und in letzter Konsequenz auch am benötigten Willen dazu.
Nach dem Zusammenbruch dieses Pan-Arabismus nach dem so genannten Sechstagekrieg 1967 mit Israel, stand die Region offen für die Ausbreitung einer neuen Ideologie. Hier reagierte die Muslimbruderschaft schneller und aktiver.
Die Saudis zogen erst nach, als im November 1979 die Grosse Moschee von Mekka von wahhabitischen Eiferern besetzt wurde, was zur Folge hatte dass das Haus Al Saud sich gegenüber der ulama verpflichten musste, sich aktiv an der Verbreitung des Wahhabismus zu engagieren (siehe mein Bericht "Saudi Arabiens Geister").

Von 1979 bis heute konnte der Wahhabismus sich in folgenden Ländern ausserhab des Persischen Golfes dominant (d.h. mehr als 1/3 des Territoriums unter theologischer oder effektiver Kontrolle) etablieren: Pakistan, Indien, Afghanistan, Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien. Weniger dominant, aber dennoch spürbar präsent: Philippinen, Indonesien, Malaysia, Süd-Thailand, Bosnien, Niederlande, Grossbritannien, Deutschland, Tunesien, Ägypten, Libyen, Sudan, Algerien.


 Missionierung in Bosnien durch die wahhabitische Organisation "Poziv u Raj", was soviel bedeuted wie "Einladung ins Paradies". Gastredner war u.a. der deutsche "Prediger" Sven Lau

Auflauf und Demonstration von Wahhabiten im bosnischen Zenica im Jahr 2011











Der bislang grösste Erfolg für die wahhabitische Expansion ist der Sturz des ägyptischen Präsidenten Mursi und die anschliessende Welle der Zerstörung der Muslimbruderschaft, welche sich zwei Jahre lang an der Spitze des Erfolges wähnte. Das grösste arabische Land mit 83 Millionen Einwohnern, verglichen mit 29 Millionen in Saudi Arabien, steht nun unter enormen Einfluss der Saudis. Das machte sogar König Abdullah in einer ungewöhnlichen Ansprache klar:
"Die ganze Welt soll es wissen, dass die Bevölkerung und die Regierung des Königreiches Saudi Arabien an der Seite unserer Brüder in Ägypten stand und auch heute noch steht, (im Kampf gegen) Extremismus, Terrorismus und Aufwiegelung, und gegen jeden der es versucht in Ägyptens interne Angelegenheiten sich einzumischen."

Klarer können Worte nicht sein. Und angesichts der Entwicklung und Verbreitung des Wahhabismus seit 1979, insbesondere aber der Tatsache dass sich diese Entwicklung nicht einmal durch die Amerikaner seit 9/11 stoppen liess, zeigt wie strategisch das Haus Al Saud den Wahhabismus in die Welt exportiert. In Syrien zeigt sich dieser Export von seiner hässlichsten Seite. Und trotzdem stehen die USA und einige Länder der EU an der Seitenlinie und klatschen begeisterten Beifall, ohne begriffen zu haben, dass die Milliarden von Dollars oder Euros die durch Rüstungsgeschäfte mit Saudi Arabien verdient werden, auch ihren Preis haben wie es erst vor einigen Tagen das Rüstungsgeschäft mit Frankreich zeigte. Just in dem Moment als sich die Anzeichen auf einen Angriff auf Syrien erhärten, wo Frankreich nach dem Absprung Grossbritanniens momentan noch der letzte verbliebene "Partner der Willigen" für Obama geblieben ist, wird dieses Rüstungsgeschäft nach jahrelangen Querelen unter Dach und Fach gebracht.


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