Freitag, 12. September 2014

Warum Ukraine?

Ähnlich wie bei Syrien wird die Frage nach dem Warum in der Ukraine Krise von unseren Medien ignoriert (abgesehen von der Propaganda dass Russland an allem Schuld ist). Und ähnlich wie mit dem Artikel "Warum Syrien?" möchte ich auch hier einen Einblick in die dunkle Seite einer Krise ermöglichen, die für uns Europäer zur grössten Bedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg werden könnte. Und das wirklich Schlimme daran ist, dass wir selbst daran Schuld sind. Nicht wir Bürgerinnen und Bürger einer Europäischen Union, die ausgerechnet in der Ukraine das beweisen möchte was man ihr seit Jahren vorwirft nicht zu tun - nämlich politische Muskeln zu zeigen - sondern unsere Politiker die offensichtlich den Sinn und Zweck dieser Europäischen Union aus den Augen verloren haben: für Frieden und Stabilität zu sorgen.

Insbesondere die Tatsache dass sich nach anfänglichem Zögern sogar Deutschland auf die Seite der Neo-Nazis in der Ukraine stellt, sollte jedem die Augen öffnen und für Alarmglocken sorgen. Oder wie es Tom Partiff der englischen Zeitung The Telegraph geschrieben hat, Kiev`s Gebrauch von Nazis im Krieg gegen die russischsprachigen Föderalisten sollte "Europa einen Schauer den Rücken hinunterjagen". Partiff begleitete die Azov-Einheit der Nationalgarde, die wie ich auch schon berichtet habe hauptsächlich aus Neo-Nazis des Pravy Sektor (Rechter Sektor) bestehen und eine Freiwilligenmiliz darstellen. Dass es sich dabei tatsächlich um Neo-Nazis handelt, bestätigt auch Tom Partiff, beziehungsweise die Kämpfer der Azov-Einheit in diesem Bericht des Telegraph.
"Persönlich bin ich ein Nazi", sagte ein Kämpfer der sich selbst als "das Phantom" bezeichnete. Das Phantom hielt auch seine Bewunderung für Adolf Hitler nicht zurück als er sagte, dass "nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland in Trümmern lag und Hitler es wieder aufgebaut hat; er baute Häuser und Strassen, führte Telefonlinien ein und schuf Arbeitsplätze. Das respektiere ich." Weiter meinte das Phantom, dass die Homosexualität eine geistige Krankheit ist und dass das Ausmass des Holocaust "eine grosse Frage" wäre. 
Der 35-jährige Kommandeur der Azov-Einheit, Andriy Biletsky, drückte sich noch etwas deutlicher aus: "Die historische Mission unserer Nation in diesem kritischen Moment ist es, die Weisse Rasse dieser Welt in einen finalen Kreuzzug für dessen Überleben anzuführen. Einen Kreuzzug gegen die von Semiten geführten Untermenschen."

                            Foto von Tom Partiff zeigt Azov Kommandeur Andriy Biletsky (mit schwarzem T-Shirt)

Kreuzzug gegen von Semiten geführten Untermenschen? Dieser Satz könnte direkt aus der Feder von Heinrich Himmler stammen. Aber sorgte er für Schlagzeilen in unseren Medien? Wir haben auch nichts vom "Phantom" und dessen Leugnung des Holocausts gehört, was mit absoluter Sicherheit ganz anders verlaufen wäre wenn solche Sätze irgendjemand im Iran gesagt hätte. Und was dabei auch noch auffällt ist die Ignorierung dieser Nazi-Parolen in israelischen Medien oder der Anti-Defamation League, deren Daseinsberechtigung genau dazu dient um antisemitische Ausbrüche auf der Welt zu dokumentieren.

Wie es der Zufall aber so will, hat nicht nur die englische Telegraph die Azov-Einheit besucht und ein Interview mit Kommandeur Biletsky geführt, sondern auch das Erste Deutsche Fernsehen (ARD). In der Nachrichtensendung "Tagesthemen" vom 05. September wird Biletsky und sein "Batallion" gezeigt, allerdings hören wir hier gar nichts über die antisemitischen Parolen und die Nazi-Ideologie die hinter der Azov Einheit steht. Im Gegenteil, das deutsche Fernsehen nennt Azov bloss einen "ukrainischen Freiwilligenverband", was zwar eine korrekte Bezeichnung ist da ja niemand gezwungen wurde mitzumachen, aber gleichzeitig auch eine eher positive Konnotation aufweist um von dem wahren Hintergrund abzulenken.
Nur drei Tage nach der ARD zeigte auch das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) Bilder von der Azov-Einheit, die es vom norwegischen Fernsehsender TV2 übernommen hat. Obwohl diese Bilder Kämpfer zeigen, die auf ihren Helmen deutliche Nazi-Abzeichen wie das Hakenkreuz oder SS-Runen tragen, nannte sie der ZDF-Korrespondent Bernhard Lichte wie zuvor schon die ARD einfach nur "Freiwilligenverbände".




Und was sagt die Regierung in Kiev zu diesen Nazi-Sturmtruppen die sie in den Krieg gegen russischsprachige Föderalisten, (oder Separatisten wie sie in unseren Medien genannt werden) aber auch gegen unschuldige Zivilisten geschickt hat? "Das allerwichtigste ist ihr Spirit und ihr Wunsch, die Ukraine frei und unabhängig zu machen. Eine Person die eine Waffe in die Hand nimmt um das Heimatland zu verteidigen, ist ein Held. Und seine politische Ansicht ist seine Sache." sagte Anton Geraschenko, ein Berater von Innenminister Arsen Avakov.
Mit dieser Meinung scheint der Berater nicht alleine dazustehen, auch Präsident Petro Poroschenko hat erst kürzlich einen im Kampf gefallenen "Gardisten" aus der Azov-Einheit "einen Helden" genannt.

Wie konnte es soweit kommen dass der Westen in der Ukraine eine demokratisch gewählte Regierung gestürzt und mit einer anderen Regierung ersetzt hat, die von Anfang an faschistische Tendenzen aufwies und offen mit Neo-Nazis sympathisierte? Was ist an der Ukraine so besonders, dass man bereit ist ein so grosses Risiko einzugehen?

Ukraine wird zum wichtigsten Baustein der USA gegen Russland

Während sich die Europäische Union dem Projekt der Osterweiterung verschrieben hatte, musste Brüssel früher oder später auch auf die Ukraine als Objekt der Begierde stossen. Zumal das Land als einer der wichtigsten Energiepartner, auch wenn nur als Transitland, insbesondere für Deutschland galt. Doch abgesehen davon kann man keinen wirklichen wirtschaftlichen Wert der Ukraine für die Europäische Union feststellen. Die ganze EU exportierte beispielsweise in den Jahren 2012 und 2013 jeweils Güter im Wert von 23.9 Milliarden Euro in die Ukraine, und importierte Güter für 14.6 Milliarden (2012) respektive 13.8 Milliarden Euro (2013).
Davon exportierte allein Deutschland Güter im Wert von 5.4 Milliarden Euro im Jahr 2013 in die Ukraine (22.6% der Gesamtexporte aus der EU), und importierte für 1.5 Milliarden Euro (10.8% der Gesamtimporte aus der EU).
Um den wirtschaftlichen Wert der Ukraine für die Europäische Union noch besser vergleichen zu können, hier nur mal die Zahlen der Handelsbilanz zwischen Deutschland und Polen: Exporte nach Polen für 42.35 Milliarden Euro (im Jahr 2013), Importe aus Polen für 35.77 Milliarden Euro (im Jahr 2013). Das bedeutet dass allein Deutschland 77% mehr Güter nach Polen im Jahr 2013 geliefert hat, als die ganze Europäische Union zusammen in die Ukraine. Auch auf der Importseite sieht dieses Bild nicht viel besser aus: Deutschland importierte 159% mehr aus Polen als die ganze Europäische Union zusammen aus der Ukraine.

Vielleicht werden jetzt einige Verfechter des europäischen Assoziierungsabkommens mit der Ukraine argumentieren, dass ja genau deshalb die EU an der Ukraine interessiert ist um dort einen auf die EU zugeschnittenen Markt aufzubauen. Doch die EU selbst rechnet nur mit einer Steigerung von 1 Milliarde Euro pro Jahr auf der Exportseite für die Ukraine. Diese Zahl wird an der wirtschaftlichen Attraktivität der Ukraine aber überhaupt nichts ändern und erst recht nichts an der Situation für die hungernde Bevölkerung. Ein Grund dafür liegt zum Beispiel in der schlechten Qualität des ukrainischen Stahls - einem sehr wichtigen Exportprodukt der Ukraine - die eine Analystin von STRATFOR als "SUPER shitty" bezeichnet hat. Auf der Importseite, sprich Exporte aus der EU, wird sich auch nichts dramatisches verändern können da sich die Ukraine gar keine grossen Veränderungen leisten kann (weshalb auf der Internetseite der EU auch nichts erwähnt wird). Kiev arbeitet seit 4 Jahren an einem 15 Milliarden USD Kredit des Internationalen Währungsfonds, da man bisher die Auflagen des IWF nie erreichen konnte oder wollte. Erst dieses Jahr erhielten die Putschisten eine erste Tranche von 1.7 Milliarden USD. Josh Cohen, ein ehemaliger Mitarbeiter des U.S. Agency for International Development (USAID), nannte diese IWF-Kredite für die Ukraine "eine Schocktherapie die sich die Ukraine gar nicht leisten kann."

Es muss also andere Gründe für das dringende Interesse geben. Und welche Rolle spielen die USA in dieser ganzen Sache?

Ich habe in den letzten Tagen hunderte WikiLeaks Depeschen zu diesem Thema durchgelesen, und obwohl ich nicht ein einziges Dokument gefunden habe wo klar und deutlich irgendetwas in die Richtung eines gezielten Planes gegen Russland zu finden ist (was nicht bedeuten soll dass es solch ein Dokument irgendwo in den Archiven gibt die noch unter Geheimhaltung stehen), ergeben diese Depeschen dennoch ein klares Bild. Sie ergänzen das was Professor Stephen F. Cohen der New York University in der Huffington Post geschrieben hat, nämlich dass die USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nie Ernsthaft an einer echten Partnerschaft mit Russland interessiert waren, sondern sich sofort ans Werk machten um "Russland`s post-kommunistische Entwicklung zu diktieren und es zu einem U.S. Klienten zu machen". Professor Cohen schreibt auch, dass es heute keine wirkliche Kooperation mehr zwischen Washington und Moskau gibt und im Grunde seit 1991 nie wirklich eine gegeben hat. Tatsächlich gäbe es heute weniger "essentielle Kooperationen" zwischen den beiden Ländern als vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Und das obwohl Cohen festhält, dass "der Weg zu Amerikas nationaler Sicherheit durch Moskau verläuft".

Die WikiLeaks Depeschen bestätigen diese Einschätzung von Professor Cohen. Die Ukraine spielte für Washington nur deshalb eine Rolle, weil es das Verbindungsstück zwischen Europa und Russland bildet. Alles was Washington interessierte kann auf drei Merkmale reduziert werden: NATO-Erweiterung in die Ukraine, Russland und Sevastopol (russischer Stützpunkt auf der Krim der russischen Schwarzmeerflotte).   
Die amerikanische Unterstützung für die europäischen Ziele der Osterweiterung, inklusive der Ukraine, dienten nur dazu um diese drei US-Interessen zu erreichen. Dass sich die USA vor der EU als Wirtschaftsmacht fürchtet, zeigt sich zum Beispiel in der Handhabung des umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP. Aus amerikanischer Perspektive galt es also, die Ambitionen der Europäer bis zu einem Grad zu unterstützen so lange diese Ambitionen nicht den eigenen in die Quere kamen. Und wenn sich diese europäischen Ambitionen noch irgendwie mit amerikanischen vermischen lassen, umso besser. Und genau da kommt das Trans-Atlantische Militärbündnis NATO ins Spiel.

Nur um die historische Aufgabe der NATO nochmal in Erinnerung zu rufen, hier der Text aus dem Gründungsvertrag vom 04. April 1949:
Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nord-atlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen.
 Den Existenzgrund definiert die NATO selbst folgendermassen: Abschreckung der sowjetischen Expansion; die Wiederbelebung von nationalistischem Militarismus in Europa durch eine starke Nordamerikanische Präsenz auf dem Kontinent verbieten; Ermunterung zur politischen Integration in Europa.

 Nachdem es heute die Europäische Union gibt, d.h. die politische Integration in Europa geglückt ist und auch die Gefahr der sowjetischen Expansion nicht mehr vorhanden ist, da es die UdSSR seit mehr als 20 Jahren schon nicht mehr gibt,  und auch die Wahrscheinlichkeit eines nationalistischen Militarismus so gut wie nicht vorhanden ist, gibt es eigentlich seit den 1990er Jahren keinen Grund mehr für dieses Bündnis. Und dennoch gibt es die NATO noch. In Abwesenheit eines wirklichen Feindbildes seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion konzentrierte sich das Bündnis auf den politischen Aspekt ihrer Tätigkeit, der europäischen Integration. Ab 2000 war das gleichbedeutend mit der Osterweiterung in Gebiete, die nur ein Jahrzehnt zuvor noch hinter dem Eisernen Vorhang lagen. Doch während sich Europa auf die strukturelle Integration dieser Länder in die eigene Union fokussierte, ging die NATO noch einen Schritt weiter und positionierte sich durch die Aufnahme dieser Länder in das Militärbündnis direkt vor der Haustüre des ehemaligen Feindes.

Dazu muss unbedingt noch etwas gesagt werden. Während die Osterweiterung der Europäischen Union in einem halbwegs demokratischen Prozess durch die "alten" EU-Länder bestimmt und abgesegnet wurde, verhält es sich bei der NATO-Erweiterung ganz anders.
Zwar müssen die Länder wie auch bei der EU selbst einen Antrag zur Aufnahme stellen, aber entschieden wird einzig und allein in Washington D.C. wer aufgenommen wird und wer nicht. Für jedes neue NATO-Mitglied benötigt es eine Abstimmung im US-Senat mit einer Zweidrittelmehrheit, da sich die Vereinigten Staaten von Amerika ja durch den Beitritt eines Staates auch für dessen Verteidigung verpflichten.
Und, es gibt Wunschkandidaten der NATO. Und eines der grössten verbliebenen Wunschkandidaten ist die Ukraine.

In Washington ist man sich der strategisch wichtigen Lage der Ukraine natürlich vollauf bewusst. Die Ukraine bildete seit Jahrhunderten eine Pufferzone zwischen den verschiedenen Königreichen und späteren Staaten. Die einzige natürliche Barriere in der heutigen Ukraine bildet der Gebirgszug der Karpaten ganz im Westen, an der Grenze zu Polen und Rumänien. Sobald eine Armee die Karpaten überwunden hat, ist der Weg bis nach Russland frei. Ausser Steppen und Äckern würde der angreifenden Armee (aus russischer Sicht) nichts im Wege stehen.

Genau so ist Nazi-Deutschland bereits im Zweiten Weltkrieg in Russland auf ihrem Weg nach Stalingrad einmarschiert. Es kann daher niemanden wirklich überraschen dass die Ukraine für Russland von elementarster Bedeutung für die nationale Sicherheit ist (und war).

Zbigniew Brzezinski, ein polnischer Flüchtling der es aber in den USA bis zum Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter geschafft hat und zu den berühmtesten "Kalten Kriegern" gehört, schrieb in seinem Buch "Das grosse Schachbrett - Amerikas Vorherrschaft und deren geostrategische Imperative" von 1997 folgendes über die Ukraine:
"Ohne die Ukraine hört Russland auf ein Reich zu sein, während mit der Ukraine - zuerst gekauft und dann unterdrückt - es automatisch zu einem Reich wird. Ukraine ist der Aussenposten des Westens um die Neu-Erschaffung der Sowjetunion zu verhindern. Die neue Weltordnung unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten ist gegen Russland und Fragmente Russlands errichtet worden.
Diese Sätze eines der einflussreichsten Männer in der amerikanischen Politik (so ist zum Beispiel Barack Obama ein Schützling von Brzezinski) und dazu noch ein ausgesprochener Gegner Russlands, waren nicht einfach nur Sätze in einem Buch sondern spiegeln tatsächlich die Realität wieder. Sie bestätigen ebenfalls die Behauptung von Professor Cohen, dass die USA heute keine "essentielle Kooperation" mehr mit Moskau betreibt, beziehungsweise seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nie wirklich betrieben haben. Die Ukraine wurde zum Schlüssel der neuen amerikanischen Weltordnung erkoren. Und ganz nebenbei, schon fast heimlich entwickelten die Strategen in Washington in diesem Kontext wieder Russland zum Feindbild für die NATO.
Heimlich deshalb, weil diese Entwicklung nicht wirklich geplant war sondern eine Konsequenz der amerikanischen "Schachzüge auf dem grossen Schachbrett" waren, um bei der Sprache von Brzezinski zu bleiben.

Die USA nutzte die russische Schwäche nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus und spannte einen militärischen Schirm über einige Länder aus die früher hinter dem Eisernen Vorhang standen. Mit Ausnahme der drei kleinen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen befanden sich diese Länder aber nicht direkt an der Grenze zu Russland. In Moskau nahm man diese Entwicklung zähneknirschend an, aber man betrachtete es nicht als eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Dann kamen die Terroranschläge von 9/11 dazwischen, wo man sich mit den USA solidarisierte und im "Krieg gegen den Terror" den Amerikanern zur Seite stand. Doch die Regierung von George W. Bush zeigte sich nicht etwa dankbar für die russische Unterstützung, sondern liess nur drei Monate nach den Terroranschlägen die Russen wissen, dass die USA das seit 1972 in Kraft stehende ABM-Abkommen (Anti-Ballistic Missile Treaty oder Vertrag zur Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen) im Jahr 2002 aufkündigen werde.  Mit diesem Abkommen verpflichteten sich die USA und UdSSR ihre Entwicklung von ballistischen Raketen zu limitieren und was noch wichtiger ist, man beschränkte die Stationierung von ballistischen Raketen lediglich auf die jeweilige Hauptstadt sowie einer weiteren Position nach Wahl im jeweiligen Land, allerdings mussten die zwei Standorte mindestens 1300 Kilometer voneinander entfernt sein.
Es handelte sich bei diesem ABM-Abkommen also um ein äusserst nützliches Abkommen das von beiden Seiten ein gewisses Mass an Vertrauen abverlangte. Korrekterweise wurde dieses Abkommen weltweit, aber auch von jeder amerikanischen Regierung bis zur Bush II-Administration als ein "Eckpfeiler der strategischen Stabilität" bezeichnet.

Für die neokonservative Elite der USA, die mit George W. Bush an die Macht kam und nach 9/11 die Gelegenheit erhielt tatsächlich eine neue Weltordnung nach eigener Vorstellung zu modellieren, war dieses ABM-Abkommen natürlich ein Hindernis. Dementsprechend wurde es in diesen Kreisen wie der Heritage Foundation als "historisches Ereignis" gefeiert, als Präsident Bush das Abkommen aufkündigte und man den Anhängern stolz mitteilte, dass man schon seit Jahren daran gearbeitet hat um die Grundlage zur Auflösung dieses wichtigen Abkommens zu schaffen.
Nur kurze Zeit später erklärte Washington seine Absicht, das Raketenabwehrprogramm aus der Reagan-Ära wieder zu reaktivieren und in die Realität umzusetzen. Es sollten aber noch weitere 10 Jahre vergehen bis es dann tatsächlich so weit war und die NATO mitteilte, dass die Raketenabwehr in Europa einsatzbereit ist.
Dass Moskau diese gesamte Entwicklung als eine gegen Russland gerichtete Politik interpretierte kann nicht weiter verwundern, zumal die NATO Russland zwar eine nicht näher definierte "Kooperation" für dieses Raketenabwehrprogramm angeboten hat, jedoch eine gemeinsame Betreibung des Systems ausgeschlossen hat. 

Nebst der militärischen Dimension übte Washington insbesondere mit den sogenannten "Farbrevolutionen" in der traditionellen Einflusssphäre Russlands massiv Druck auf Moskau aus. Was uns als populäre Demonstrationen des Volkes gegen die jeweiligen Regierungen verkauft wurde, wurde so gut wie immer nach dem selben Muster organisiert. Washington hatte nach der Bombardierung von Serbien eine Organisation für sich entdeckt, die ein erfolgreiches Konzept zum friedlichen Widerstand gegen eine ungeliebte Regierung weiterentwickelt hat, die von Dr. Gene Sharp der Oxford University erfunden wurde.
Und was viel wichtiger war, dieses Konzept konnte man in jedem Land ohne grösseres Risiko anwenden, da es sich in diesem Sinne nicht um kriminelle Aktivitäten handelte. Diese Organisation hiess OTPOR! (Widerstand!). Das Besondere an OTPOR! war es, dass sie es geschafft haben verschiedenen Studentenorganisationen unter eine "Führung" zu bringen, um mit vereinter Kraft und einer Stimme ihre Forderungen an die Regierung zu stellen. Im Falle Serbiens war dieser Widerstand noch vollkommen legitim und geschah ohne Einmischung von Aussen. Doch schon kurz nach dem Sturz der Regierung von Slobodan Milosevic suchte der Gründer von OTPOR!, Srdja Popovic, nach Möglichkeiten um mit westlichen Regierungen in Kontakt zu treten. In Washington stiess er dann auf gewaltiges Interesse. Laut den E-Mails von STRATFOR die WikiLeaks erhalten hat, gibt es sogar Hinweise darauf dass der Kontakt zwischen Popovic und Washington nicht erst nach dem Sturz von Milosevic hergestellt wurde, sondern noch während den Protesten von 1999. Popovic`s OTPOR! soll zu diesem Zeitpunkt Geld und Training der CIA erhalten haben.
Im Jahr 2003 wurde OTPOR! in CANVAS (Center for Applied Non-Violent Action and Strategies) umgetauft, eine Organisation die weltweit Studentenbewegungen im zivilen Ungehorsam gegen die jeweilige Regierung ausbildet. Das Problem aber ist, dass CANVAS zu einem Instrument der amerikanischen Regierung geworden ist. Laut der STRATFOR-Email wird CANVAS durch diverse amerikanische Organisationen finanziert und unterstützt, die als weiterführende Arme des US-Aussenministeriums und USAID (U.S. Agency for International Development) gelten. Darunter zählen Organisationen wie Freedom House, Albert Einstein Institute (Gründer Dr. Gene Sharp), International Republican Institute, National Democratic Institute for International Affairs oder auch das Flaggschiff der Neokonservativen Elite, das American Enterprise Institute.

Überall wo es in den vergangenen 11 Jahren zu sogenannten "Farbrevolutionen" kam, angefangen mit "erfolgreichen" Revolutionen in Georgien (Rosenrevolution 2003), Ukraine (Orangenrevolution 2004), Kirgistan (Tulpenrevolution 2004), Libanon (Zedernrevolution 2006) und "Niederlagen" in Weissrussland, Uzbekistan, Azerbaijan, Venezuela, Iran und sogar Russland, spielte CANVAS und somit auch die USA eine tragende Rolle. Kein Wunder interessierte sich auch STRATFOR brennend für CANVAS, um laut WikiLeaks E-Mails an das riesige Netzwerk der Organisation zu kommen.

 Für Moskau bedeuteten diese Farbrevolutionen eine direkte Einmischung der US-Regierung direkt vor der Haustüre. Durch die rasend schnelle Verbreitung der "Revolutionen" war Russland gezwungen, mehr oder weniger von der Seitenlinie aus zu beobachten was sich daraus ergeben würde. Doch wirklich besser wurde es weder in der Ukraine noch in Georgien nach den Revolutionen. Das lag natürlich zum Teil daran dass Moskau den Versuch unternahm die Auswirkungen der "Revolutionen" in den Griff zu bekommen, aber der weitaus grössere Grund für die Instabilität lag daran, dass diese ehemaligen Länder der Sowjetunionen viel zu sehr mit der russischen Wirtschaft und Oligarchie verbunden waren, als dass sie sich davon hätten loslösen können. Je mehr der Westen versuchte diese Länder in die eigene Einflusssphäre zu ziehen, desto grösser wurde die Instabilität.

Als die Orangenrevolution von 2004 in der Ukraine nicht zum erhofften (und schnellen) Kurswechsel führte, fing der noch amtierende US-Präsident George W. Bush im Frühjahr 2008 an, seine NATO-Partner zur Gewährung des Membership Action Plan (MAP) für die Ukraine und Georgien zu drängen, der Vorstufe zur Mitgliedschaft im Militärbündnis. Noch am 1. Februar 2008 erklärte der russische Aussenminister Lavrov der amerikanischen Botschaft in Moskau, dass die NATO-Erweiterung insbesondere in die Ukraine und Georgien als eine "potentielle militärische Bedrohung" eingestuft werden müsse. Man hätte zwar gerne den Beteuerungen der NATO Glauben geschenkt, dass die Erweiterung nicht gegen Russland gerichtet ist, doch die Errichtung von amerikanischen Stützpunkten in diesen Ländern müsse man nicht nach "Absichtserklärungen evaluieren, sondern nach deren Potential".
Doch die USA liess sich von den Einwendungen Lavrov`s nicht beirren und erklärte nur zwei Monate später an der NATO-Konferenz in Bukarest, dass die Ukraine ein NATO-Mitglied werden soll. Noch US-Aussenministerin Condoleeza Rice unterstrich diese Absicht dann noch mit einer Charta, der United States-Ukraine Charter on Strategic Partnership, die am 19. Dezember 2008 in Washington unterschrieben wurde. Zwar ist dieses Dokument kein bindendes Abkommen sondern viel mehr so etwas wie eine Absichtserklärung, es stellte aber dennoch die Weichen weiter auf NATO Expansion in die Ukraine.   

Die heftige öffentliche Reaktion Russlands auf diese Schritte wurde in den USA aber so gewertet, dass man mit dem NATO Engagement in der Ukraine und Georgien genau auf dem richtigen Weg ist um diese Länder vor Russland zu beschützen. Man verfiel in Washington dem Glauben (auch heute noch), dass Moskau nichts weniger vor hat als eine neue Sowjetunion auferstehen zu lassen. War das aber nicht der Existenzgrund der NATO, die Welt vor der Expansion der Sowjetunion zu beschützen? Der neue, der richtige Feind war geboren.
Die Devise ab diesem Zeitpunkt konnte nur noch "jetzt erst Recht" heissen. Die Strategen in Washington liessen sich denn auch nicht von Äusserungen des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukovitsch wie jene vom 2. Juli 2010 vom Kurs abbringen, als er sagte dass die "Ukraine den Kurs einer Blockfreien Politik gewählt hat, um die Entstehung von neuen Trennlinien auf dem europäischen Kontinent zu verhindern."
So ähnlich äusserte er sich auch am 12. Januar 2010, zu diesem Zeitpunkt noch als Präsidentschaftskandidat, als Janukovitsch in einer Fernsehansprache bekannt gab, dass er die Mitgliedschaft in der NATO nicht weiter verfolgen werde. "Stattdessen sollte die Motivation für Reformen in der Ukraine die Erreichung von europäischen technischen und sozialen Standards sein."
Das er die Präsidentschaftswahlen dann auf dieser Plattform auch gewann, hätte im Westen als Zeichen gedeutet werden sollen dass die Mehrheit der Ukrainer gar nicht der NATO beitreten wollte.
Doch der ukrainische Präsident konnte sagen was er wollte, für die NATO bzw. USA gab es nur den Weg nach vorne.

Zu diesem Zweck fingen die Amerikaner an, sich in der Ukraine nach geeignetem "Personal" umzuschauen. Der seit mindestens 2006 für die USA als "Insider" tätige Petro Poroschenko (und heutiger Präsident), den die US-Botschaft in Kiev zwar als "lieben Freund" bezeichnete, aber auch zugeben musste dass er "durch glaubhafte Korruptionsvorwürfe behaftet" war, galt Poroschenko nichtsdestrotrotz als einer den es zu hegen und pflegen galt. Er verfügte über erheblichen Einfluss in der ukrainischen Opposition und man wusste von ihm, dass er ganz im Gegensatz zu Viktor Janukovitsch die NATO-Mitgliedschaft befürwortete.
Der absolute Shootingstar in der ukrainischen Politik war aber ein anderes, mittlerweile auch bei uns bekanntes Gesicht: Arseniy (Jats) Jatsenjuk.

Im Jahr 2008 verfasste die US-Botschaft eine regelrechte Lobeshymne auf Jatsenjuk und hob seine Errungenschaften trotz des politischen zarten Alters von nur 34 Jahren heraus. Bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2008, war Jatsenjuk bereits Wirtschaftsminister, Aussenminister und Parlamentssprecher. Im letzten Teil dieses Jatsenjuk-Profils, wird die rhetorische Frage gestellt wie er wohl als Leader sein würde. Hier die Antwort auf diese Frage:
"Wie beschrieben ist Jatsenjuk ein engagierter, nachdenklicher und pragmatischer Anführer. Unser Eindruck nach Meetings mit dem Sprecher, und als er Aussenminister war, ist, dass er ein ausgesprochen nach vorne blickender junger Politiker ist. Als Ministerpräsident oder Präsident würde er wahrscheinlich Reformorientiert sein, während er sich auf seine politischen Beziehungen stützen würde um Gesetze durchzubringen. Sein wirtschaftlicher Background lässt vermuten, dass er die Aussenpolitik von einem wirtschaftlichen Standpunkt angehen würde, aber er hat sich selbst als offen für eine NATO-Kooperation gezeigt und sein Think Tank demonstriert, dass er über das internationale Image der Ukraine Bescheid weiss.
Dieser Think Tank von dem die Rede, ist die Open Ukraine Foundation, welche wie schon zu erwarten war, vom US-Aussenministerium, der NATO, dem German Marshall Fund of the United States, dem National Endowment for Democracy (wo auch das Who`s Who der Neocons tätig ist), Chatham House und der Stiftung seines grössten Gönners, dem Oligarchen Viktor Pinchuk, unterstützt wird.


Als 2010 Viktor Janukovitsch zum Präsidenten gewählt wurde, sahen sich die USA in ihrer Investition in die Ukraine bedroht. Victoria Nuland, die uns dieses Jahr bereits mit "Fuck the EU" beehrte und auch zugab, dass ebendieser junge Shootingstar aus der ukrainischen Politik in der Tasche der USA steckte, gab aber auch bekannt wieviel die USA in die Ukraine investiert haben: 5 Milliarden US-Dollar.
Dieses Geld wurde zum Teil auch für die Verbreitung der NATO-Propaganda innerhalb der Ukraine ausgegeben, um das Volk endlich auf Linie zu bringen. 2008 wurde Nuland vom ukrainischen Botschafter Sagach informiert, dass die Ukraine eine Million Dollar für diese Propagandazwecke ausgegeben hat. Interessanterweise gab nur drei Monate später Viktor Juschtschenko, der damalige ukrainische Präsident, bei einem Besuch von NATO-Repräsentanten in Kiev an, dass man zwei Millionen US-Dollar für die Propaganda pro Jahr ausgeben will, und das für die nächsten 5 Jahre! 
Woher kam dieses Geld, wenn man doch noch drei Monate zuvor nicht mehr als insgesamt eine Million Dollar aufbringen konnte?

Doch in Washington hegte man noch die Hoffnung, dass die Ukraine auch trotz dem neugewählten Präsidenten Janukovitsch der Ankündigung des abgewählten Präsidenten Juschtschenko treu bleibt, den im Jahr 2017 auslaufenden Vertrag für den russischen Stützpunkt der Schwarzmeerflotte in Sevastopol auf der Halbinsel Krim nicht zu verlängern.
Denn gemäss der NATO-Charta dürfte die Ukraine so lange kein Mitglied werden, so lange sich ein ausländischer Militärstützpunkt im Land befindet.  Für die USA/NATO war also der Kurs klar: spätestens 2017 wird die Ukraine NATO-Mitglied, und der Preis für die USA/NATO wäre Sevastopol gewesen.
Für Russland hätte das bedeutet, dass keine 500 Kilometer von dem kleineren Stützpunkt bei Novorossijsk auf russischer Seite, die NATO über den wichtigsten und grössten Stützpunkt des Schwarzen Meeres verfügen würde. Die Schwarzmeerflotte hätte so jeglichen Bewegungsfreiraum verloren und es hätte unweigerlich zu gefährlichen Spannungen geführt.

Aus den WikiLeaks Dokumenten wird klar, wie die USA versucht hat auf Kiev Einfluss zu nehmen. Sie versuchten es mit Verlockungen wie dem Freihandelsabkommen mit der EU, dem Assoziierungsabkommen mit der EU und versprachen ihren Einfluss beim Internationalen Währungsfonds geltend zu machen, um die in Aussicht gestellten 15 Milliarden US-Dollar endlich zu erhalten. Zudem versuchten sie in verschiedenen Gesprächen, hauptsächlich mit Julia Timoschenko, darauf hinzuweisen, dass es sich für die Ukraine nicht lohnen würde den Vertrag mit Russland für den Stützpunkt Sevastopol zu verlängern. Die 98 Millionen US-Dollar Miete die Moskau jedes Jahr überweist waren in der Tat sehr wenig, verglichen mit den Summen die die USA für ihre Stützpunkte überall auf der Welt bezahlt. Es sollte der Eindruck entstehen, dass die Ukraine vom Westen mehr zu erwarten hätte als das was Kiev von Russland erhält. Aber was in Brüssel und Washington offensichtlich aus den Augen gelassen wurde war die Tatsache, dass es sich die Ukraine nicht leisten konnte zu warten, bis die diversen in Aussicht gestellten Abkommen endlich auch eine Dividende abwerfen. Was Kiev brauchte war Geld, und zwar schnell. Aber das konnte und wollte der Westen nicht liefern.

Als Viktor Janukovitsch 2010 zum Präsidenten gewählt wurde, befand sich die Ukraine in einer schweren finanziellen Krise und der neue Präsident sollte aber das Staatsbudget für das kommende Jahr aufstellen. Ihm blieb eigentlich gar nichts anderes übrig als mit Moskau zu verhandeln. Seine Partner im Westen liess Janukovitsch über diese Verhandlungen im Dunkeln, genauso wie die meisten seiner Landsleute. Man wusste zwar, dass er nach Amtsantritt ein paar Mal nach Moskau gereist ist, aber das war angesichts der engen Verknüpfung beider Länder alles andere als ungewöhnlich. Als er dann nur drei Monate später einen fixfertigen Vertrag in Kharkiv/Ukraine zusammen mit dem russischen Präsidenten Medvedev unterschrieb, waren alle geschockt.
Am meisten aber die Strategen in Brüssel und Washington. Denn das Kharkiv-Abkommen erlaubte es Russland, den Stützpunkt in Sevastopol noch weitere 25 Jahren nach 2017 zu nutzen, also bis zum Jahr 2042 mit einer Option auf weitere 5 Jahre. Zwar blieb die Miete die gleiche (98 Millionen USD/Jahr) auch wenn Ukraine mehr als eine Milliarde US-Dollar jährlich forderte, doch im Gegenzug erhielt Kiev eine 30%-ige Reduktion auf den Gaspreis. Diese Reduktion würde dem bis aufs Äusserste strapaziertem Finanzministerium nur schon für den Rest des Jahres 2010 zusätzliche 2.8 Milliarden US-Dollar in die Kasse spühlen. Ab 2011 bis 2020 sollten es jährlich 4 Milliarden US-Dollar sein, die Kiev durch diese Reduktion einspart und für andere Projekte einkalkulieren kann. Das wären insgesamt 38.8 Milliarden US-Dollar gewesen, die Janukovitsch im Handumdrehen mit Moskau ausgehandelt hat. Das ist mehr als 7mal so viel als Washington für subversive Aktivitäten und angeblichen Hilfsprojekten "investiert" hat, und mehr als das Doppelte als der Internationale Währungsfonds irgendwann eventuell an Krediten zur Verfügung gestellt hätte.
Genau aus diesem Grund beschwerte sich sogar Vladimir Putin, der zu diesem Zeitpunkt Ministerpräsident war, über diese enormen Summen die Medvedev der Ukraine zugestanden hatte. Denn aus russischer Sicht bedeutete dieses Abkommen ein Defizit von etwa 5-6% für das Jahr 2010, da in dem kalkulierten und abgesegneten Budget für dieses Jahr kein Verlust von 2.8 Milliarden US-Dollar vorgesehen war. Natürlich kannte Putin den geostrategischen Wert von Sevastopol, dennoch beschrieb er den ausgehandelten Rabatt für die Ukraine als "exorbitant" und meinte zum russischen Stützpunkt, dass es "keine Militärbasis auf der Welt gibt die so viel Geld gekostet hat".

Obwohl Janukovitsch mit diesem Vertrag von Kharkiv sein Land vor dem sicheren Bankrott bewahrt hatte, brachte er damit insbesondere Washington gegen sich auf. Für die Europäische Union stellte dieses Abkommen in punkto Assoziierungsabkommen keine Gefahr dar wie die Organisation Wider Europe feststellte, die sich für die Transparenz der EU im Umgang mit den Ländern der Union, aber auch europäischen Nicht-EU Ländern einsetzt.
Aber für die Pläne der NATO und somit der USA war dieser Vertrag von Kharkiv eine einzige Katastrophe!

Wie schon weiter oben beschrieben, setze Washington alles daran die NATO in die Ukraine zu bringen. Auch gegen den ausdrücklichen Widerwillen der "Gang of Five", wie Washington seine NATO-Partner Deutschland, Frankreich, Niederlande, Spanien und Norwegen abschätzig nennt (Deutschland ist dabei der "Anführer der Gang of Five"), die sich nicht für die Mitgliedschaft der Ukraine im Bündnis erwärmen konnten. Insbesondere Deutschland machte immer wieder deutlich, dass Berlin nichts von dieser Idee hält. Aussenminister Frank-Walter Steinmeier sagte am 6. März 2008, dass er es "nicht verhehlen kann, dass er skeptisch ist." Auch der deutsche NATO-Botschafter äusserte sich im Juni desselben Jahres bei einem Besuch in der Ukraine ganz ähnlich, als er meinte dass die europäischen Aussenminister ersteinmal abklären müssten, ob die Erweiterung in die Ukraine die Sicherheit von Europa als Ganzes überhaupt verbessern würde. Denn seiner Meinung nach wäre es unmöglich in Europa Sicherheit ohne Russland zu haben, und richtiggehend dumm, es gegen Russland aufzunehmen.

Diese Meinung vertrat nicht nur der "Anführer der Gang of Five", sondern auch der US-Botschafter in Moskau, John R. Beyrle. Seine Analyse aus dem Jahr 2009 war eine ehrliche und realistische, die einen richtigen Dialog zwischen den USA und Russland forderte, um so die ganze Region zu stabilisieren und die Ukraine mit vereinten Kräften auf die eigenen Beine stellen.

Doch in Washington hörte niemand auf solche Worte, erst Recht nicht nach dem Kharkiv-Abkommen von 2010. Die ursprünglichen Ziele sollten nur mit noch grösserem Nachdruck verfolgt werden. Man konzentrierte sich auf die Trümpfe die noch im Spiel waren, und das war die EU mit dem Assoziierungsabkommen.
Als vergangenen November dieses Abkommen in Vilnius hätte unterzeichnet werden sollen, schockierte Viktor Janukovitsch die Welt erneut als er kurz vor der Unterzeichnung verkündete, dass er dieses Abkommen nicht unterschreiben kann.
Aber warum konnte er das nicht? Unsere Medien machten Russland für diesen Rückzieher verantwortlich. Doch Dennis Kuchinich, ein langjähriges Kongressmitglied und US-Präsidentschaftskandidat im Jahr 2008, bietet eine andere Erklärung. Ausgerechnet ein amerikanischer Politiker bietet die wohl wahrscheinlichste Erklärung für diesen erneuten Schlag ins Gesicht der Amerikaner.

Kuchinich nannte das Assoziierungsabkommen der Europäischen Union ein "Trojanisches Pferd der NATO", da sich die NATO durch die Hintertüre in ein Abkommen hineingeschlichen hat, das der hungernden Bevölkerung aber als ein wirschaftlicher Rettungsanker verkauft wurde. Der Entwurf des Assoziierungsabkommens wurde in englischer Sprache auf der Webseite der ukrainischen Regierung veröffentlicht, und man konnte dort nachlesen dass sich die Ukraine durch dieses Abkommen "immer enger an die Annäherung der Standpunkte in bilateralen, regionalen und internationalen Fragen" anbindet, einschliesslich der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik, sowie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigunspolitik (GSVP) der Europäischen Union.
Diese Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ist der militärische Aspekt des Abkommens wo die NATO ins Spiel kommt. Da von den 28 EU-Staaten 22 in der NATO sind, gibt es gar keine andere Interpretation oder Argumentation zur GSVP als die NATO.
Zurecht weigerte sich also Janukovitsch, dieses Abkommen in dieser Form zu unterschreiben.

Die Tatsache, dass dieses Dokument nach dem Putsch gegen die Regierung von Janukovitsch und der Installierung des Putschistenregimes unter Jatsenjuk von der Homepage der Regierung gelöscht wurde, bekräftigt nur die Erklärung von Dennis Kuchinich. Und natürlich die ganze weitere Entwicklung seit dem Putsch, die die ganze bisher verborgene Absicht der NATO bzw. USA ans Tageslicht brachte. Dass Russland nach dem Putsch aber das für die Ukraine so wichtige Kharkiv-Abkommen aufgekündigt hat, nahm man in Washington billigend in Kauf. Denn ironischerweise müsste sich Washington bei den Menschen der Krim bedanken die sich für eine Aufnahme in die russische Föderation aussprachen, und natürlich bei Putin der diesen Schritt zuliess.
Denn nachdem die Krim sich für die Abspaltung von der Ukraine ausgesprochen hat, befindet sich auf dem momentan realen Staatsgebiet der Ukraine keine ausländische Militärbasis mehr. Das heisst: der Weg für die NATO wäre frei, wenn die internationale Gemeinschaft diese Abspaltung als solche anerkennen würde.

Dass sich Deutschland am Ende doch noch auf dieses gefährliche Spiel eingelassen hat, liegt daran, dass Berlin die Kontrolle über die Energieroute durch die Ukraine haben möchte. Es gibt für Deutschland aus energiepolitischer Sicht keine grössere Katastrophe, als wenn plötzlich kein Gas mehr aus der Ukraine kommt. Berlin handelt ganz nach dem Motto: halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Feinde noch näher. Das ist der Grund warum Deutschland sich so schwer tut mit der Verurteilung der ukrainischen Regierung, die im Krieg gegen die russischsprachigen Föderalisten auf Neo-Nazis zurückgreift.

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